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: Ein wenig Bremen auf der Berlinale mit „Komm Näher“

„Berlin ist ein Paradies für borderline-Persönlichkeiten!“ witzelte ein Journalist auf der Berlinale bei der Pressekonferenz von Hans-Christina Schmids „Requiem“ und erntete dafür einen lauten Lacher von den heimischen Kollegen. Dabei war er offensichtlich im falschen Film gewesen, denn nicht der zurecht hochgelobte Wettbewerbsfilm über eine Teufelsaustreibung, sondern Vanessa Jopps im Panorama gezeigter „Komm näher“ schildert diese paradiesischen Zustände in der Hauptstadt. Aber bei den diesjährigen Filmfestspielen wurden so viele gute Produktionen aus Deutschland gezeigt, dass man schon mal die Orientierung verlieren konnte. Und da nun gleich drei von ihnen mit Bären prämiert wurden, besteht die Gefahr, dass bei aller Freunde die etwas kleineren Filme schnell übersehen werden. Dabei ist einer darunter immerhin eine Produktion von Radio Bremen, im weitesten Sinne also ein Film aus dieser Region, auch wenn Vanessa Jopp ihn natürlich nicht hier, sondern in Berlin gedreht hat, denn die so richtig durchgeknallten Typen, um die es ihr geht, findet man nur dort, weil... siehe oben!

Mathilda ist etwa eine von diesen auf der Straße meist in laute Selbstgeschimpfe vertieften Figuren, denen man im realen Leben besser aus dem Weg geht, weil man sonst schnell beschimpft, bespuckt oder mit Bier begossen wird. Anstrengend ist sie, und Meret Becker spielt sie so unberechenbar und rotzfrech, dass man zwar von ihr fasziniert, aber zuerst eher abgestoßen ist. Doch dann verliebt sie sich ausgerechnet in einen etwas unbeholfenen Streifenpolizisten, der an ihre Tür klopft, weil sie nachts ihre heavy metal Geräusche so laut hören muss, was dann zum schon klassischen Dialog: „Machen Sie bitte die Musik leiser! - Ich versteh nichts, die Musik ist so laut! „ führt. Um ihn wiederzusehen, dreht sie die Regler in der nächsten Nacht noch lauter und macht sich dann schick für ihre nächste polizeiliche Zurechtweisung. Wenn sie dabei in den Spiegel schaut, sieht man ganz kurz ihr Lächeln aufblitzen, und verzeiht ihr später sogar die grausame Art und Weise, mit der sie hinter dem Tresen einer Frittenbude die Bratwürste malträtiert. Kein Wunder, dass die beiden einzigen Kunden sich lieber an ihre flüssige Nahrung halten, denn: „Bier macht auch ein wenig satt!“ Ähnlich enervierend wie Mathilda ist zuerst die hyperpubertierende Mandy, die ihrer Mutter, der wackeren Putzfrau Johanna, das Leben zur Hölle macht. Doch auch sie muss man bald einfach mögen, auch wenn die junge Marie-Luise Schramm in der Rolle nie um unsere Sympathie buhlt. Aber wer so originell wie sie Kondome füllt, damit Mama nur ja das Schlimmste vermutet, kann nicht ganz schlecht sein. Und tatsächlich verliebt sie sich dann übers Handy ganz unschuldig in den molligen Taxifahrer Andi, der dummerwe

ise ausgerechnet mit ihrer Mutter ausgeht. Was Mathilda und Mandy zuviel an ungebändigter Lebensenergie haben, fehlt David völlig. Während seine Frau, die Architektin Ali ständig überarbeitet und angespannt ist, fühlt er sich schon überfordert, wenn er den Kindergeburtstag für den kleinen Sohn organisieren muss. Er verdrückt sich schließlich in die Arme einer Familienfreundin, sodass seine Frau sich nicht nur um die immer spezieller werdenden Wünsche ihres Auftraggebers, sondern auch noch um Kind und Haushalt kümmern muss.

Viel mehr als das nasskalte, winterliche Berlin und eine nervös, hektische Grundstimmung hält diese drei Geschichten nicht zusammen, und doch fällt der Film nicht in die einzelnen Episoden auseinander. Das liegt einerseits an dem durchweg sehr inspiriert und glaubwürdig agierenden Schauspielensemble, aber auch an dem guten Drehbuch, das alle Episoden in überraschende Wendungen voller Witz führt. Interessant ist auch, dass manchmal nur die Frauen lachen. Wenn Johanna etwa ihr Bein rasiert, findet das kein Mann komisch. Wilfried Hippen

„Komm Näher“ kommt am 16. 3. in die Kinos