piwik no script img

Archiv-Artikel

Das Wir-Gefühl der Wendejahre

GEGENKULTUR Die Ausstellung „Wir sind hier nicht zum Spaß!“ im Kunstraum Bethanien dokumentiert „kollektive und subkulturelle Strukturen im Berlin der 90er Jahre“, ohne zu sehr ins Schwärmen geraten zu wollen

Produktives Herumlungern

Künstlerinnen und Künstler experimentierten im Berlin der 90er Jahre oft über Szene- und Genregrenzen hinweg mit neuen Formen kollektiver Arbeit, gründeten Plattenlabels, eröffneten Clubs und Galerien und gaben Magazine im Eigenvertrieb heraus. Mit einem Hörstück, Exponaten und Talks bietet die Ausstellung bis Ende August Einblicke in die damalige künstlerische Produktion.

■ „Wir sind hier nicht zum Spaß! Kollektive und subkulturelle Strukturen im Berlin der 90er Jahre“: Kunstraum Kreuzberg Bethanien, Mariannenplatz 2, bis 25. August täglich von 12–19 Uhr, Eintritt frei, Führung auf Anfrage: (030) 9 02 98–14 55; Programm unter: www.kunstraumkreuzberg.de

siehe auch TAGESTIPP SEITE 8

VON ANTONIA HERRSCHER

„Mann, hier isset!“, so der amerikanische Künstler Sung-Uk Bradden Hwang 1991 etwas verständnislos auf die Frage eines Reporters, was ihn nach Berlin bringe. Kurz zuvor ohne Geld und Deutschkenntnisse aus Los Angeles gekommen, beherrschte „Brad“ bereits den „Slang der Szene“, so Ulrich Gutmair in seinem Buch „Die ersten Tage von Berlin. Der Sound der Wende.“ Ein nahezu rechtsfreier Raum und massenhaft leer stehende Wohnungen zogen damals zahlreiche junge Leute nach Mitte: Ein Bezirk wurde zum kollektiven Experiment.

Brad baute aus Schrott Apparaturen, deren Nutzen sich erst erschloss, wenn man ihnen einen Sinn verlieh – eine Kartoffelpufferwurfmaschine oder die für das Café Zapata im besetzten Tacheles konstruierte „singende, suppenkochende Heizung“. Damals fasste er sein Wirken so zusammen: „Genau das verschenken, was man nicht hat, an die, die es nicht bezahlen können.“ Und paraphrasierte damit den französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan, der einmal sagte, Liebe bedeute, jemandem das zu geben, was man nicht hat, und von dem der andere nichts will.

Im produktiven Herumlungern manifestierte sich dieses Nicht-Wollen. Eine Gegenkultur zur Verwertungslogik des Alltags und der Warenförmigkeit von Kunst. Man schlief aus, besuchte Freunde, versorgte sich irgendwo mit Strom oder Warmwasser, schlief mal hier, mal dort aus. DDR-Alltagsgegenstände, die damals auf dem Müll landeten, wurden zweitverwertet oder formten als Installation die soziale Plastik dieser Tage. Zuletzt haben Sven van Thülen und Felix Denk in ihrem Buch „Der Klang der Familie“ die Entstehung der Berliner Techno-Szene in den Hinterzimmern und Kellern besetzter Häuser beschrieben, und der Film „Berlinized. Sexy an Eis“ porträtiert die Betreiber der Clubszene jener Zeit.

Die Geschichte einer Subkultur Ostberlins begann bereits Ende der 40er Jahre in der Friedrichstadt und verlagerte sich später nach Prenzlauer Berg. Experimentalbands wie Ornament & Verbrechen, Ichfunktion oder die Untergrundband Freygang gründeten sich ab den 70ern. Auch das heute zur Touri-Disko verkommene Kaffee Burger wurde nahe der Volksbühne zum Stammlokal der Künstlerszene Ostberlins.

Mitte und Prenzlauer Berg wurden in der Wendezeit zum Zentrum der Ostberliner Linken. Basis-Druck-Verlag und Brandenburger Filmbetrieb waren Gründungen dieser Zeit – ebenso das Tacheles, der Eimer und das Orph-Theater. Die Partei der „Autonomen Aktion Wydoks“, einer Art Spaßguerilla um den Frontmann der Punkband Feeling B, Aljoscha Rompe, der 1990 das gerade legalisierte Besetzer-Haus in der Schönhauser Allee 5 gekapert hatte, verpasste bei den Ostberliner Kommunalwahlen im Mai 1990 dann knapp die Fünfprozenthürde.

Das kürzlich erschienene Buch des Berliner Künstlers Wolfgang Müller erzählt wiederum die Geschichte der „Subkultur Westberlins 1979–1989“ und den Luxus einer subventionierten Stadt: „Geschützt vor Westdeutschland“ konnte man in Berlin keine Karriere machen – aber auf beengtem Raum unendlich viel Zeit haben. Ab 89 zog es aber auch viele von ihnen in den weiteren Osten.

Es gibt nur wenige Dokumente dieser Zeit. Fotografieren war uncool, mancherorts gar verboten. Häuser wurden zu Tode saniert oder abgerissen, Clubs kommerzialisiert oder verschwanden spurlos: Wie das in den 70er Jahren eröffnete Wiener Café in der Schönhauser Allee, die Bierkneipe Fengler, Kommandantur und Torpedokäfer.

DDR-Alltagsgegenstände, die auf dem Müll landeten, wurden zweitverwertet

Freiräume und Brachen verschwanden und mit ihnen der historische Raum. Künstler gerieten in Vergessenheit. Anderen gelang der Aufstieg im internationalen Kunstmarkt. „Während die einen bis zur nächsten Party weiterschliefen, waren andere, mit denen man nachts noch getanzt hatte, womöglich schon dabei, das Gebäude zu kaufen, in dem die Party stattgefunden hatte“, so die Künstlerin Natascha Sadr Haghighian.

Für den Stadtsoziologen Andrej Holm bringen die Reibungen im Wechselverhältnis zwischen Gegenkultur, „offizieller“ Kultur und den ökonomischen Grundmustern der Gesellschaft Subkultur als solche erst hervor und „reißen ihr zugleich den Boden unter den Füßen weg“. In Berlin war diese Reinform städtischer Aufwertung bereits 1999 deutlich sichtbar. Diedrich Diederichsen bezeichnete die Mitte der Hauptstadt damals als ein „schwarzes Loch der Subkultur“, weil hier alles angezogen und dann verschluckt wurde.

Die Ausstellung „Wir sind hier nicht zum Spaß! Kollektive und subkulturelle Strukturen im Berlin der 90er Jahre“ im Kunstraum Bethanien geht diesem Wir-Gefühl der Wendejahre nach. In künstlerischen Reinszenierungen und Dokumentationen, die sich nach Aussage der Macher bemühen, nicht zu sehr ins Schwärmen zu geraten.