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Archiv-Artikel

Mehr Beschäftigung wagen

In Arbeit (6): Um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, hat sich die Politik bislang auf den Arbeitsmarkt konzentriert. In Zukunft müssen auch andere Maßnahmen erprobt werden

Kluge Lohnpolitik schöpft den Verteilungsspielraum aus, wie dies anderswo bereits geschieht

Die hohe Arbeitslosigkeit ist, keine Frage, eines der drängendsten Probleme. Zu ihrer Bekämpfung hat sich die Politik in den vergangenen Jahren allerdings auf rein arbeitsmarktpolitische Instrumente konzentriert: Von Ich-AGs über Minijobs bis zu Personal-Service-Agenturen und Job-Floatern oder der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe wurden zahlreiche Ideen umgesetzt, und es wurde der Eindruck erweckt, allein durch diese Maßnahmen ließe sich das Problem schon lösen. Doch ein nennenswerter Rückgang der Arbeitslosenzahlen folgte daraus nicht.

Aus diesem Grund muss heute die Frage gestellt werden, ob es sinnvoll war, den Schwerpunkt auf die Arbeitsmarktpolitik zu legen – sich also auf solche Maßnahmen zu konzentrieren, die Angebot und Nachfrage auf den Arbeitsmärkten direkt beeinflussen sollen. Unserer Meinung nach war dies ein Fehler. Nötig wäre vielmehr eine ausgewogene beschäftigungspolitische Strategie, die neben der Arbeitsmarktpolitik noch weitere Politikfelder einbezieht. Eine erfolgreiche Beschäftigungspolitik sollte mehr sein als eine reine Arbeitsmarktpolitik, die sich lediglich auf die Senkung der Lohnnebenkosten konzentriert.

Der Mainstream der Ökonomen setzt nach wie vor allein auf die Reduzierung der Arbeitskosten und damit zumeist auf eine Absenkung der Löhne, besonders in den unteren Einkommensgruppen. Diese Reduzierung der Arbeitskosten soll durch eine Deregulation des Arbeitsmarkts erfolgen. Die andere strategische Option, die ebenfalls möglich wäre, nämlich durch die Steigerung der Konsumnachfrage einen Zuwachs an Beschäftigung zu erzielen, wird von den meisten dieser Ökonomen kategorisch abgelehnt.

Wir sind jedoch der Meinung, dass nur eine Kombination aus beiden Strategien zu echten Beschäftigungszuwächsen führen kann. Zum einen müssen die Nettolöhne in den unteren Einkommensgruppen gezielt durch eine Steuerfinanzierung von Sozialabgaben entlastet werden. Zum anderen sollte die Nachfrage durch eine Makropolitik beschäftigungsfördernd gesteuert werden. Folgt man dem Politikwissenschaftler Manfred Schmidt, dann erstrecken sich die dafür notwendigen Instrumente auf die Politikfelder der Geld-, Lohn-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik.

All diese genannten Instrumente sollten bei der Konzeption einer beschäftigungspolitischen Strategie berücksichtigt werden. Es kann zwar nicht bestritten werden, dass die Steuerungsfähigkeit der Politik in vielen dieser Bereiche massiv nachgelassen hat. Doch das darf keine Ausrede sein. Die Versäumnisse der Politik bestanden in den letzten Jahren vor allem darin, dass einzelne Politiken nur unzureichend koordiniert wurden. Ein neuer Blick auf die einzelnen Instrumente ist daher nötig.

Das erste wichtige Instrument, die Geldpolitik, wird von der Europäischen Zentralbank verantwortet und ist daher durch die nationale Politik kurzfristig kaum beeinflussbar. Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) steht in der konservativen Tradition der Deutschen Bundesbank und zielt vorwiegend auf die Stabilität des Geldwerts ab. Sie gilt einheitlich für alle Teilnehmer der Währungsunion, führt zu einem hohen Realzinsniveau und wirkt daher für die Bundesrepublik zu restriktiv – mit negativen Folgen für Wachstum und Beschäftigung. Langfristig wäre es daher dringend geboten, das Statut der EZB zu ändern und Wachstum und Beschäftigung – neben der Preisstabilität – als gleichrangige Ziele zu verankern.

Das zweite Instrument, die Lohnpolitik, wird von den Tarifpartnern verantwortet. Doch öffentlicher Druck auf Gewerkschaften und Arbeitgeber kann die Lohnverhandlungen durchaus beeinflussen. So waren die vergleichsweise niedrigen Lohnabschlüsse der letzten Jahre von einem breiten politischen, wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Konsens getragen: In ihm spiegelte sich die Auffassung, dass Löhne lediglich Kosten eines Unternehmens seien. Übersehen wurde dabei, dass Löhne auch Kaufkraft sichern.

Löhne haben nämlich zwei Dimensionen: Kosten und Einkommen. Von der Höhe der Einkommen sind neben der Privatwirtschaft, die auf eine anhaltende Nachfrage angewiesen ist, auch das Staatswesen und die Sozialversicherungen abhängig. Der Staat ist in zweifacher Hinsicht direkt von der Höhe der Lohnabschlüsse betroffen: bei den Einnahmen der Sozialversicherungen, die 2003 insgesamt 483 Milliarden Euro betrugen, und bei der Lohnsteuer, die 2003 rund 133,1 Milliarden Euro in die Staatskasse spülte. Darüber hinaus steigert die Kaufkraft der lohnabhängig Beschäftigten die Konsumnachfrage und damit auch die staatlichen Einnahmen aus der Umsatzsteuer, die sich 2003 auf rund 137 Milliarden Euro beliefen.

Eine kluge Lohnpolitik schöpft den „Verteilungsspielraum“ aus, der sich unter Berücksichtigung von Inflation und Produktivitätssteigerung ergibt. In den meisten OECD-Ländern wurde das in den letzten Jahren realisiert, in Deutschland aber wurde der Verteilungsspielraum nicht ausgeschöpft.

Das konjunkturpolitische Instrument der Finanzpolitik gehört zu den wichtigsten Instrumenten im Werkzeugkasten der Beschäftigungspolitik. Aber auch hier ist der Spielraum begrenzt, da er auf europäischer Ebene durch den Stabilitätspakt reglementiert wird. Die diversen Steuersenkungen seit 1998 haben die staatlichen Einnahmen verringert und die Staatsverschuldung vergrößert; so erklären sich das Haushaltsdefizit und die niedrige Investitionsquote der öffentlichen Hand. Dieser Trend muss rückgängig gemacht werden. Investitionen in die kommunale Infrastruktur und in Bildung und Erziehung sind nötig, notfalls müssen sie auch durch Steuererhöhungen finanziert werden.

Die meisten Ökonomen setzen auf eine Absenkung der Löhne, die vor allem die unteren Einkommen trifft Auch die Tarifparteien und die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank müssen einbezogen werden

Schließlich ist auch in der aktiven und passiven Arbeitsmarktpolitik, auf die sich die Reformen bislang konzentrierten, eine Fehlentwicklung nicht zu übersehen. Durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, die Kürzung der Bezugsdauer von ALG I und die verschärften Zumutbarkeitskriterien wurde die Mittelschicht verunsichert. Der Konsum stagnierte, und die Zahl der gemeldeten offenen Stellen verringerte sich. In Zeiten einer schwachen Konjunktur wirkte das konsumhemmend und bremste die Binnenkonjunktur weiter ab.

Das Fazit ist also klar: Alle beschäftigungspolitischen Instrumente sollten im Fokus staatlicher Politik stehen, alle Steuerungsmöglichkeiten voll ausgeschöpft werden. Steigende Realeinkommen und eine solide Finanzierungsgrundlage staatlicher Leistungen sind dabei eine Grundvoraussetzung für mehr Beschäftigung und eine bessere Bedürfnisbefriedigung der Bürgerinnen und Bürger.

Manuel Emmler, Jakob Ache