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Archiv-Artikel

Kurdischer Publizist steht erneut vor Gericht

Kamal Kadir Kerim wurde im Nordirak nach dem Antiterrorgesetz zu 30 Jahren Haft verurteilt. Er hatte sich in Artikeln abschätzig über ranghohe Politiker geäußert. Das Urteil wurde nach Protesten kassiert. Heute wird neu verhandelt

„Ohne die Proteste aus dem Ausland hätten sie mich schmoren lassen“, sagt Kerim

ERBIL taz ■ Es sollte ein Treffen von alten Freunden werden. Ende Oktober war der Jurist und Publizist Kamal Kadir Kerim in einem Hotel in Erbil mit zwei Studenten verabredet, die er noch aus seiner Zeit als Dozent der Juristischen Fakultät kannte. Dabei wollte Kerim die Wogen glätten, die seine bissigen Kommentare über ranghohe kurdische Politiker hervorgerufen hatten, sagen Freunde und Bekannte. Dazu kam es jedoch nicht.

Kurz nach dem Treffen in der Hotellobby wurde der 48-Jährige von einer Einheit des kurdisches Staatsschutzes Asaish verhaftet. Am 19. Dezember verurteilte das Strafgericht von Erbil den Juristen, der seit 1991 österreichischer Staatsbürger ist, zu zweimal 15 Jahren Haft. In seinem Urteil folgte das Gericht der Anklage, die in Kerims Artikeln eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit gemäß dem vom kurdischen Parlament im Jahr 2003 verabschiedeten Gesetz zur Terrorabwehr sah.

„Mein Mandant hätte nie nach diesem Gesetz angeklagt werden dürfen“, sagt Kerims Anwalt Govand Baban. „Er hat schließlich keine Terrorhandlung begangen.“ Weder beim Asaish noch in Justizkreisen beschuldigt man Kerim, er habe Bomben gelegt oder Mordanschläge verübt. Die Grundlage für die beiden Haftbefehle gegen ihn bildeten die Artikel, die er auf einer kurdischen Website in Schweden veröffentlicht hatte. Darin geißelte er die Barsani-Familie als „Diebe“, dem mächtigen Partei-Geheimdienst Parastin warf er Kuppelei vor und beschimpfte dessen Chef Masrur Barsani als „Zuhälter“.

Darüber hinaus spekulierte Kerim über angebliche Verbindungen von Barsanis Demokratischer Partei Kurdistans (KDP) mit den Geheimdiensten der Welt, allen voran die CIA und der israelische Mossad. Der Provinzregierung von Erbil unterstellte er, teures Bauland an Israelis zu verkaufen.

Die Behauptungen von Kerim seien eine Steilvorlage für die Terroristen, sagt Provinzgouverneur Nausad Hadi Mawlud im Gespräch. Seine Behörde ist neben dem Parastin eine der Klägerinnen gegen Kerim. Der Verkauf von Land an Juden gelte in der islamischen Welt als Hochverrat. Angesichts von Gerüchten über eine Zusammenarbeit zwischen den Kurden und Israel liefere Kerim den Extremisten weitere Munition für die Rekrutierung von Kämpfern, sagt Mawlud. „Jeder hat ein Recht auf freie Meinungsäußerung“, sagt der KDP-Politiker. „Aber hier geht es um den Schutz der Bürger.“

Dass man ihn mit Terroristen über einen Kamm schert, empört Kerim. „Das Saddam-Regime hat meinen Vater auf dem Gewissen, meine Familie hat mehrmals alles verloren“, sagt der 48-Jährige in seiner Zelle. Trotz seiner österreichischen Staatsbürgerschaft sei er ein kurdischer Nationalist. 1978 floh Kerim nach Österreich, wo er in Jura und internationaler Politik promovierte. In den 90er-Jahren unterrichtete er etliche Jahre an den kurdischen Universitäten Jura.

Viele Journalisten glauben freilich nicht, dass es der KDP-Regierung mit der Verhaftung von Kerim um Gefahrenabwehr ging. Mit seinen Ausfällen gegen die Barsani-Familie habe der Autor eine rote Linie überschritten, lautet eine weit verbreitete Meinung. Im privaten Gespräch bezeichnen Journalisten das drakonische Strafmaß als Gesinnungsurteil, namhafte Autoren haben sich in einem Aufruf für die Freilassung von Kerim eingesetzt.

Doch viele werfen ihm auch vor, er sei über das Ziel hinausgeschossen. Seine Schmähschriften machten es den Gegnern der Pressefreiheit leicht, jede kritische Berichterstattung als Verrat zu denunzieren, sagt Ako Mohammed. Der Chefredakteur der kleinen Wochenzeitung Midia weiß, wovon er spricht. Vor einigen Monaten hielt ihn der Asaish mehrere Stunden lang fest, weil dem Innenministerium die Veröffentlichung einer Umfrage missfiel, in der die KDP-Sicherheitskräfte extrem schlechte Noten erhalten hatten.

Heute steht Kamal Kadir Kerim erneut vor dem Richter, nachdem der Oberste Gerichtshof das erste Urteil nach dem Antiterrorgesetz kassiert hatte. Diesmal muss er sich wegen Verstoßes gegen Paragraf 433 des irakischen Gesetzbuchs verantworten. Dieser stellt üble Nachrede, Beleidigung und Verleumdung von Personen wie von Staatsorganen unter Strafe.

Kerim hat sich mittlerweile für seine Schmähungen der Barsani-Familie entschuldigt. „Die Beschimpfungen tun mir Leid“, sagt Kerim in seiner Zelle. Barsani habe dem Häftling verziehen, heißt es in Justizkreisen. Damit ist der Weg frei für eine Amnestie. Die Freilassung von Kerim sei nur noch eine Frage der Zeit.

Kerim selbst ist überzeugt, dass vor allem die internationale Aufmerksamkeit dazu geführt hat, dass das drastische Urteil überraschend schnell kassiert wurde. Neben der österreichischen Regierung hat sich auch amnesty international für ihn eingesetzt. „Ohne die Proteste aus dem Ausland hätten sie mich schmoren lassen“, sagt Kerim.