Der Viruskiller auf Vorrat

BERLIN taz ■ Jeder zehnte Bundesbürger könnte im Falle eines Falles mit Tamiflu oder Relenza gegen Vogelgrippe behandelt werden. So weit reicht momentan der Medikamentenvorrat, den die Länder zur Eindämmung einer möglichen Pandemie gelagert haben. Zwar liegt Deutschland damit deutlich unter der vom Robert-Koch-Institut und der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Vorratsquote, nach der die Medikamente für 20 Prozent der Bevölkerung reichen sollten. Aber noch wäre ja genug Zeit, die Arzneimittel zu kaufen.

Das eigentliche Problem ist jedoch: Die Quote von zehn bis zwölf Prozent, von der das Bundesgesundheitsministerium derzeit ausgeht, ist nur ein Durchschnittswert. Zuständig für den Medikamenteneinkauf sind nämlich die Länder. Und da sind die Zahlen sehr unterschiedlich. Der Vorrat schwankte nach Angaben der Gesundheitsministerkonferenz noch zu Jahresbeginn zwischen 5,6 Prozent in Sachsen-Anhalt und 15 Prozent in Bayern. Heute kommen die zuständigen Länderminister nach Berlin zum Rapport. „Die Bundesländer sollen einen Überblick darüber geben, wie weit sie die Vorbereitung auf eine Pandemie vorangetrieben haben“, sagt Klaus Vater, Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums in Berlin.

NRW, Rheinland-Pfalz, Bayern und Hessen haben schon mal vorsorglich angekündigt, dass sie ihre Bestände aufstocken werden. Allerdings dürfte die neue Lieferung erst Ende 2006 oder Anfang 2007 zur Verfügung stehen, sagte Bayerns Umweltminister, Werner Schnappauf. NRW, zu Jahresbeginn bei sechs Prozent, bekommt hingegen nach eigenen Angaben jeden Monat Lieferungen und will bis Ende 2006 bei 30 Prozent sein.

Und dann ist da noch die Frage, wer die Medikamente bezahlen soll. 67 Millionen Euro wird allein NRW ausgeben, 7 Millionen kostet Bayern die Nachbestellung. Geld, das vor allem die ärmeren Länder im Osten nicht haben. Gerry Kley, Gesundheitsminister in Sachsen-Anhalt und morgen Vorsitzender der Konferenz, fordert daher eine Art Pool-Lösung: Die Bundesregierung solle sich finanziell an einer Aufstockung der Arzneimittelvorräte beteiligen und einen Teil der Medikamente der EU zur Verfügung stellen. Diese könnten dann von den Mitgliedstaaten abgerufen und an den jeweiligen Ausbruchsort gebracht werden.

Das Bundesgesundheitsministerium winkt ab. Für eine Finanzierung der Medikamente aus Bundesmitteln gebe es keine gesetzliche Grundlage, sagt Vater. „Der Bund hat nicht die Möglichkeit, für die Länder in Vorleistung zu treten.“

Noch herrscht allerdings auch kein Zeitdruck. Das Robert-Koch-Institut in Berlin sieht zumindest keine aktuelle Pandemie-Gefahr. Trotz der Vogelgrippe auf Rügen sei das Risiko der Übertragung des Virus auf Menschen in Deutschland „eher gering“, sagte der Vizepräsident des Instituts, Reinhard Burger, in Berlin. Bisher sei das Virus in Deutschland weder bei Menschen noch bei Hausgeflügel registriert worden. STEPHAN KOSCH