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Archiv-Artikel

Das Battle mit den Beinen

AUS KÖLN NINA LAMMERS

Die Musik geht an. HipHop durchdringt den Raum. Der junge Mann, den sie hier Big Mijo nennen, macht den Anfang. In schlabberigem XXL-T-Shirt mit der Aufschrift „I can make you dance, Sucka“ betritt er die Mitte eines Kreises, den rund vierzig Jugendliche bilden. Er wirbelt Arme und Beine herum, dreht seinen Körper, schnell, kraftvoll, immer im Rhythmus der Musik.

Dann kommt sein Kollege hinzu, Tight Eyes. Er kommt Big Mijo näher, bedrängt ihn, weicht seinen imaginären Schlägen und Tritten aus. Und er schreit: „Ooohh“ und „Yeahh“. Die Jugendlichen johlen und klatschen, bewegen sich im Takt der Musik. Sie beobachten Big Mijo. Und fangen ebenfalls an, den Tänzer in der Mitte zu bedrängen. Der Kreis ist längst kein statisches Gebilde mehr. Er bewegt sich mit den Tänzern in der Mitte durch den Raum. Jetzt ist ein Mädchen in der Mitte, sie bewegt alles, was man so bewegen kann, flippt völlig aus. Und alle anderen mit ihr. Hört sich an wie eine Massenekstase, was sich hier im Aerobic-Raum eines Kölner Fitnessstudios abspielt. Doch wer genau hinsieht, bemerkt die absolute Körperbeherrschung, die in jeder Bewegung steckt. Kein Move geht an der Musik vorbei, nichts sieht so aus, als gehöre es nicht in genau diesem Moment an genau diese Stelle. Das macht das Ganze so ästhetisch. Das ist Krumping.

In dem Aerobic-Raum findet ein Workshop statt, bei dem man die Grundzüge des Krumpings erlernen kann. Big Mijo und Tight Eyes leiten den Unterricht. Sie sind internationale Stars, gehören zu den Erfindern des lange unbekannten Tanzstils. Vor einem Jahr noch hätte niemand gedacht, dass sie es mit dem Krumping zu internationaler Popularität bringen würden. Am wenigsten sie selbst.

Big Mijo und Tight Eyes sind in den Ghettos von Los Angeles aufgewachsen, inmitten von Gewalt und Kriminalität. Krumpen war für sie eine Möglichkeit, Aggressionen auf eine gewaltlose Art abzubauen – ein Ventil. So fiel es ihnen leichter, sich den Bandenkämpfen zu entziehen. Denn in den Ghettos von L.A. ist Krumping mehr als nur ein Tanzstil. Es ist ein Lebensgefühl, ein Statement. Wer krumpt, entscheidet sich für ein Leben jenseits der Straßengangs. Kämpfe zwischen unterschiedlichen Gruppen finden unter Krumpern nur in Form von Krumping-Battles statt: Zwei Gruppen tanzen gegeneinander, und das Publikum im Raum entscheidet durch Applaus über Sieg und Niederlage.

Seit letztem Jahr ist Krumping auch außerhalb von L.A. bekannt, wo der Tanzstil Anfang der 1990er Jahre von Tommy the Clown etabliert wurde, einem wild tanzenden, als Clown verkleideten Ex-Drogendealer, der schnell zum Star der US-amerikanischen Jugendlichen avancierte. Aber erst David LaChapelles Dokumentarfilm „Rize“ machte Krumping – auch clown dancing oder clowning genannt – weltweit populär und seine Protagonisten, unter ihnen Tight Eyes und Big Mijo, berühmt.

Spezielle Emotion

Auf einmal interessierten sich alle für sie. Die Presse war hinter ihnen her, Jugendliche wollten Autogramme und Madonna, die Queen of Pop, die eher wenig mit HipHop und Rap am Hut hat, drehte mit den beiden Tänzern sogar schon zwei Musikvideos. Rap-Größen wie Missy Elliot verpflichteten sie als Choreographen, und die Kids aus USA und Europa besuchten ihre Tanzstunden und Workshops.

Krumping liegt also voll im Trend, könnte man meinen. Aber die Art und Weise, wie Krumping funktioniert, widerspricht dieser Vorstellung. Darauf insistieren zumindest die Erfinder des Krumping, und die müssen es ja wissen. Big Mijo unterstreicht, dass Krumping nur mit der speziellen Emotion funktioniert. Man kann zwar die Schritte und Bewegungen imitieren. Wenn man aber seine ganze Aggression nicht gleichzeitig mit den Bewegungen rauslässt, ist das kein Krumping. Man braucht also eine gewisse Leidenschaft. Und es gilt, die Fähigkeit zu erlernen, diese mit speziellen Krumpingmoves freizusetzen.

Von Aggression und Leidenschaft verstehen die Teilnehmer des Kölner Workshops Einiges. Da ist zum Beispiel das Mädchen mit den dunklen Locken. Ihr Name ist Sophie, sie ist 18 Jahre alt. Während des Workshops hat sie spontan die Übersetzung übernommen, weil es mit der Kommunikation zwischen Workshopteilnehmern und Workshopleitern zumindest auf verbaler Ebene ein paar Schwierigkeiten gab. Für Sophie ist Englisch kein Problem, ihre Mutter ist US-Amerikanerin und hat ihr nicht nur die zweite Sprache mit auf den Weg gegeben, sondern auch die dunkle Haut und ebensolche Haare. Die Reaktion der Leute auf ihr Äußeres macht sie des Öfteren aggressiv. Das können ganz subtile Dinge sein, ein schiefer Blick etwa, weswegen sie sich nicht hundertprozentig dazugehörig fühlt.

Beim 20-jährigen Mohamed hat die Aggression andere Ursachen. Er ist in der Nähe des Kölner Stadtteils Kalk zu Hause, einer Gegend, wo reichlich Drogen gedealt werden. Mohamed wird auf der Straße regelmäßig von der Polizei angehalten und durchsucht. Er habe nichts mit Drogen zu tun, sagt er, „aber wenn du nicht richtig deutsch aussiehst und bestimmte Klamotten trägst, verdächtigen sie dich einfach.“ In solchen Situationen kriegt er dann Hass.

Das Kapital des Tänzers

Sophie und Mohamed finden Krumping nicht einfach nur als Tanzstil trendy. Sie verstehen die Emotionen hinter dem Krumping. Auch wenn ihnen klar ist, dass ihr Leben lange nicht so krass ist wie das Leben in einem Ghetto in den USA, können sie das Gefühl von Ungleichheit und Nichtdazugehörigkeit nachempfinden. Sie spüren eine Verbundenheit mit den Krumpern aus L.A., fühlen sich von ihnen verstanden, „obwohl wir die gar nicht kennen“. Ein Grund, warum sie Krumping anspricht.

Ein anderer ist die Leidenschaft fürs Tanzen, die alle Workshopteilnehmer miteinander verbindet. Viele von ihnen möchten das Tanzen zum Beruf machen oder arbeiten schon als Choreographen und Tänzer. Der 15-jährige John etwa ist bei einer Plattenfirma als Backgroundtänzer unter Vertrag. Nebenbei geht er in die Tanzschule und lässt sich in unterschiedlichen Tanzstilen ausbilden: in HipHop, Jazz und Modern Dance. Beim Workshop will er vor allem grundlegende Techniken lernen und diese zu Hause immer wieder üben, bis sein Körper die neuen Bewegungen verinnerlicht hat.

Auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, warum gerade Krumping in L.A. Jugendliche davon abhält, sich in Straßengangs zu organisieren, erwidert John, dass Tanzen womöglich ihr großes Ziel sei: „Wenn man sich Ziele setzt, vergisst man alle negativen Sachen. Man arbeitet für das Ziel und hat gar nichts anderes mehr im Kopf.“ So sei es auch bei ihm, sagt er. Viele seiner Freunde rauchen Zigaretten und Joints, trinken regelmäßig Alkohol. Er selbst tut nichts von alledem. Alkohol und Rauchen würden seinen Körper nur zerstören. Der aber sei sein Kapital, wenn er Tänzer werden wolle.

Angefeuert und bedrängt

Die „Yeahhh“- und „Ooohh“-Rufe nehmen an diesem Nachmittag erst ein Ende, nachdem alle mehrmals im Kreis waren, angefeuert und bedrängt wurden und zum Schluss einfach nicht mehr können. Tight Eyes und Big Mijo gehen zu jedem Einzelnen hin, nehmen ihn oder sie in den Arm und bedanken sich für die gute Zeit. Mit jenen, die Englisch sprechen, quatschen sie noch ein bisschen, sie signieren Poster, CDs, posieren vor vierzig Handy- und Digitalkameras und signalisieren so, dass sie sich für die Jugendlichen interessieren. Internationale Stars, die sich für jeden einzelnen Fan Zeit nehmen – das zumindest ist kein Trend.

www.krumpkings.com