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Archiv-Artikel

„Wer keine Familie hat, ist aufgeschmissen“

Gestresste Pfleger, zu frühe Entlassungen. Patientenberaterin Judith Storf über die Auswirkungen der Klinikkrisen

taz: Frau Storf, die Krankenhäuser sind pleite. Kriegen das auch die Patienten zu spüren?Judith Storf: Auf jeden Fall – und leider auch ganz schön stark. Das Krankenhauspersonal quengelt, ist schlecht gelaunt und abweisend zu den Patienten. Außerdem wird man immer früher aus der Klinik entlassen, damit die Krankenhäuser Geld sparen. Darüber beschweren sich zur Zeit sehr viele Patienten. Frühe und häufig eben auch zu frühe Entlassungen haben offenbar stark zugenommen.

Zu früh – das hört sich gefährlich an.

Ist es zum Teil auch. Gerade rief hier in der Patientenstelle eine Frau an, die wenige Tage nach einer Unterleibsoperation nach Hause entlassen wurde. Sie hat noch starke Schmerzen, kann kaum laufen und darf überhaupt nichts heben. Bei der Entlassung wurde ihr gesagt: „Sie finden bestimmt jemanden im Haus, der Ihnen hilft.“ Sie weiß aber niemanden. So geht es immer mehr Patienten in NRW. Wer keine Nicht-Berufstätigen in der Familie hat, ist aufgeschmissen. Mal ganz davon abgesehen, dass nicht jeder jede Pflegetätigkeit ausführen kann und will.

Wer fängt dann diese Menschen auf?

Im konkreten Fall haben wir bei der Krankenkasse eine Haushaltshilfe beantragt. Ansonsten fangen das irgendwelche netten Menschen aus dem persönlichen Umkreis der Nicht-Mehr-Patienten auf. Häufig werden Patienten einfach zu früh in Rehabilitations-Kliniken überwiesen. Die sind ja eigentlich für die Mobilisierung nach einer Operation zuständig. Jetzt kriegen sie immer häufiger bettlägerige Patienten, für die sie eigentlich gar kein Personal haben. Gut versorgt werden sie dann natürlich nicht.

Es leidet also auch die Qualität der Pflege.

Natürlich. Ich höre häufig, dass Patienten sich gar nicht mehr trauen, Ärzte oder Krankenschwestern etwas zu fragen oder um Hilfe zu bitten, weil sie so überlastet wirken. Auch werden Verbände und Gipse seltener gewechselt, weil offenbar am Pflegepersonal besonders gespart wird.

Die Landesregierung findet, dass es zu viele Krankenhäuser gibt. Würden Sie auch beim Versorgungsnetz sparen?

Die Klinikdichte in NRW ist im Bundesvergleich tatsächlich herausragend gut. Ein Standortvorteil für Patienten, würde ich sagen. In bestimmten Regionen wie zum Beispiel dem Ruhrgebiet kann man tatsächlich von einer Überversorgung sprechen. Da könnte man sicher sparen, indem man sich als Poliklinik zusammenschließt. Eine weitere Ursache für die finanzielle Misere der Kliniken sind natürlich die Fallpauschalen. Gegen die kann man sich allerdings nur politisch wehren. Viele Kliniken haben aber auch Managementprobleme.

Welche?

Wenn ich mir die Lohnabstände zwischen Ärzten und Pflegepersonal anschaue, erkenne ich Sparpotential. Ebenso wenn ich die Anzahl der Stellen im Verwaltungsbereich mit dem medizinischen vergleiche. Zur Zeit wird an den falschen Stellen gespart: Wenn Ärzte und Pfleger überlastet sind, werden Menschenleben in Gefahr gebracht.

Haben Sie noch weitere Spartipps?

Die Kommunikation zwischen Klinikärzten und den weiterbehandelnden ambulanten Ärzten muss dringend verbessert werden. Zur Zeit bekommen Patienten höchstens drei Sätze für ihren Arzt mit auf den Weg. Bessere Zusammenarbeit bedeutet zwar kurzfristig mehr Arbeitsaufwand. Langfristig werden so die aufgeklärten Patienten schneller gesund und verursachen weniger Kosten.

INTERVIEW: MIRIAM BUNJES