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Archiv-Artikel

Der Geldpolitik fehlen die Mitstreiter

Vom Überleben in der Krise

VON RUDOLF HICKEL

Er ist eines der spannendsten Gremien der Europäischen Union: Im EZB-Rat streiten die Präsidenten der nationalen Notenbanken mit dem Direktorium der Europäischen Zentralbank über die eine Geldpolitik, die alle 17 Euro-Länder am besten voranbringt.

Schade, dass man davon in aller Regel nichts mitbekommt. Denn im Gegensatz zur US-Notenbank Fed veröffentlicht die EZB keine Sitzungsprotokolle. Umso interessanter ist, was der Rat nach seiner jüngsten Sitzung präsentierte: Der Leitzins soll zwar bei 0,5 Prozent bleiben, der oberste Eurohüter Mario Draghi erklärte aber, dass die EZB mit allen geldpolitischen Mitteln gegen die „tiefe Rezession“ in Euroland ankämpfen werde. Auch mit unorthodoxen Instrumenten: Den Banken drohen Strafzinsen, wenn sie das billige Geld der EZB nicht für die Vergabe von günstigen Krediten an die Wirtschaft, vor allem in den Krisenländern, und den Aufkauf von Staatsanleihen nutzen. Sie sollen einen Preis für die risikolose Einlagerung dieser Liquidität in der EZB-Kasse bezahlen.

Das Ergebnis lässt sich anhand von Indiskretionen rekonstruieren: Der Konflikt schwelt seit 1999, als die Währungsunion Länder zusammenführte, die in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung völlig unterschiedlich dastanden und -stehen. EZB-Chefvolkswirt Peter Praet hatte für eine weitere Senkung des Zinses auf 0,25 Prozent argumentiert und war darin von EZB-Chef Mario Draghi unterstützt worden. Auch die Krisenländer befürworteten einen niedrigeren Zins. Sieben Ratsmitglieder, vorrangig aus den Nordländern, etwa Deutschland und die Niederlanden, hielten dagegen.

Bei diesem Streit geht es nicht nur um Eitelkeiten. Er zeigt, dass die Währungsunion in einem Dilemma steckt: Die geldpolitische Doktrin lautet, dass es in einem einheitlichen Währungsraum für alle Mitgliedsländer nur eine einheitliche Zinspolitik geben kann. Was aber, wenn diese wirtschaftlich so unterschiedlich stark sind? Wo die Ökonomie schrumpft, braucht es eine stark expansive Geldpolitik. Wettbewerbsfähige Länder mit intensiv ausgelasteten Kapazitäten erwarten dagegen, auch weil Inflation droht, eine vorsichtig restriktive Geldpolitik.

Die EZB sieht dieses Dilemma durchaus. Immerhin hat die EZB trotz des erbitterten Widerstands der Deutschen Bundesbank das Prinzip der Unteilbarkeit der Geldpolitik wenigstens mit einem Instrument durchbrochen: Sie stabilisiert mit dem Ankauf von Staatsanleihen von den Sekundärmärkten aus Krisenstaaten, die sich dem ESM-Rettungsfonds unterwerfen, die dortigen Geldmärkte. Damit hat sie die neue Aufgabe, den Währungsraum zu stabilisieren, mutig angenommen.

Wenn man wollte, gäbe es einen Ausweg aus dem Dilemma: Die Finanzpolitik im Euroland muss abgestimmt werden, damit sie in den einzelnen Mitgliedsländern je nach der gesamtwirtschaftlichen Lage die Führung übernehmen kann.

Die Antikrisenpolitik in der Eurozone verstößt jedoch fundamental gegen das Prinzip, Geldsteuerung und Finanzpolitik zu koordinieren. Sie unterstützt die Krisenländer nicht mit einer expansiven Finanzpolitik, sondern zwingt sie genau zum Gegenteil: Als „Gegenleistung“ für Finanzhilfen aus dem Rettungsfonds verlangt sie Ausgabenkürzungen, höhere Massensteuern und Privatisierungen. Das belastet die Ökonomie und beschleunigt den Absturz. Am Ende verliert auch die durch diese Schrumpffinanzpolitik konterkarierte Geldpolitik ihre Handlungsfähigkeit.

Der EZB-Rat darf sich diesem Zusammenhang nicht verschließen. Die EZB-Wächter sollten die EU und ihre Mitgliedsstaaten auffordern, den Teufelskreis zu durchbrechen. Finanzpolitik zusammen mit Wirtschaftsstrukturpolitik weist den Weg aus der derzeitigen Krise. Wenn das gelingt, kann sich die Geldpolitik wieder auf ihre eigenen Aufgaben konzentrieren.