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Archiv-Artikel

Weddinger Hochzeit

Mit Siebenmeilenstiefeln durch Europas Musik: In „Berlin Wedding“ vermählt Di Grine Kuzine migrantische Kulturen mit der Lust am Feiern

VON THOMAS WINKLER

Im Tschechischen, so geht die Legende, soll dereinst jemand versucht haben, mit einem Baum zu tanzen. Bei jüdischen Hochzeiten standen ukrainischen Mütterchen die Tränen in den Augen. Und immer, eigentlich immer, hält es die Menschen nicht mehr auf ihren Sitzen. Wenn Di Grine Kuzine zum Tanz aufspielt, dann sind Reaktionen garantiert.

Des Öfteren aber bestehen diese Reaktionen auch aus einer ganz gewissen Frage: Wie kann eine Band aus Deutschland Klezmer spielen? Es ist diese eine Frage, die Alexandra Dimitroff nicht mehr hören mag. Weil sie eine energische Frau ist, nicht nur, wenn sie mit ihrem Akkordeon auf der Bühne steht, formuliert sie das allerdings etwas drastischer: „Ich finde diese Frage zum Kotzen.“ Trotzdem haben sie und der Rest der Band eine Menge Antworten parat, was kein Wunder ist, denn ihr neues Album mit dem Titel „Berlin Wedding“ ist bereits ihr viertes, und all die Jahre „wurde ständig auf dieser Frage herum geritten“.

Ausreichend Zeit also für das seit 1993 existierende Quintett, sich ein paar Repliken zurechtzulegen. Die einfachste geht so: „Die ganze Fragestellung ist mir zu ideologisch“, versucht Dimitroff, „wir haben es einfach gemacht, es war nie verkopft.“ Eine Rechtfertigung steuert Snorre Schwarz, seines Zeichens Schlagzeuger von Di Grine Kuzine, bei: „Das Typische an Klezmer ist doch, dass die Musik wandert und immer wieder vor anderem Publikum gespielt wird. Und wir brechen diese Tradition auf unsere Situation herunter.“ Er glaubt zudem, seine Band habe in gewisser Weise auch „die Phantomschmerzen übernommen“, die die deutsche Nation plagen seit mehr als sechs Jahrzehnten. Aber, beendet die energische Frau Dimitroff schließlich die Diskussion, „man macht doch Musik, damit man nicht mehr reden muss“.

Auch das Publikum scheint die Auseinandersetzung entschieden zu haben zugunsten der Musik. Die machen Di Grine Kuzine so erfolgreich, dass die fünf Mitglieder bereits seit einigen Jahren von der Band leben können. Vornehmlich weil man sich einen Ruf als mitreißende Live-Band erworben hat, die noch die lahmste Vermählungsfeier in Schwung bringt.

Und was für Musik sie machen: Irgendwo zwischen Straßen- und Weltmusik, zwischen Balkan und Chanson, da findet schon längst mehr statt als Klezmer. Zwar baut der Sound immer noch auf Klarinette und Tuba, aber schon früher wurde man kritisiert von den Hütern der reinen Klezmer-Lehre und mittlerweile ist die Musik aus dem osteuropäischen Schtetl nur mehr eine Farbe unter vielen, so wie Deutsch nur eine Sprache unter sieben Gesungenen ist.

Auf diesem Album hat die Band so viel selbst komponiert und geschrieben wie nie zuvor: „Dnepr Scirocco“ ist ein Klagelied aus den allertiefsten Seelenabgründen der Halbbulgarin Dimitroff. „Donde se cantar“ geht im Shuffle-Rhythmus auf die Suche nach Manu Chao. In „Wedding Kucek“ entwickelt sich der Klezmer aus türkischen Klängen. Und wer sucht, der findet auch Ska und Latin, Rock-Strukturen und Country-Einflüsse, hört die Punk- und Jazz-Vergangenheit der Bandmitglieder.

„Wir schöpfen aus dem gesamten europäischen Musikschatz“, glaubt Schwarz und dabei sei ihnen ein „Pop-Album“ gelungen, nicht mehr, auch nicht weniger. Das kann man so sehen, wenn man unter Pop nicht nur das Geschehen in den Charts versteht, sondern das gesamte Spektrum der populären Musik. Denn davon deckt „Berlin Wedding“ einiges ab.

Entstehen kann diese Musik wohl nur hier. Wenn Alexandra Dimitroff im Eröffnungssong „Berlin“ ihre Heimatstadt besingt, dann ist die nicht nur eine „graue Sonne“, sondern auch „die süße Metropole“ und „die „Stadt der Wahl“. Vor allem aber wird Berlin in der Musik von Di Grine Kuzine endlich zum Scharnier zwischen Ost und West, zum Schmelztiegel der Kulturen. „Nein“, sagt Dimitroff, „in Düsseldorf könnte man diese Musik bestimmt nicht machen.“ So steht das Wedding aus dem Albumtitel ist nicht nur für den nördlichen Berliner Bezirk, sondern auch für die Hochzeit von verschiedenen Einflüssen.

„Berlin Wedding“ ist für Di Grine Kuzine aber mehr als ein Loblied auf die Multikultur, sondern auch eine Beschäftigung mit Immigration. „Ich bin die Tochter eines Einwanderers“, sagt Dimitroff, und „Onkel in Amerika“ ist das zentrale Stück dieses Konzeptes: Dem Song liegt zwar das traditionelle Klezmer-Stück „Di Reize nokh Amerike“ zugrunde, aber unter den Händen von Di Grine Kuzine wird daraus ein faul dahin groovender Rap, der endgültig die Brücke schlägt nach New York, wo die meisten der osteuropäischen Emigranten dereinst anlandeten. Was sie mitbringen konnten in die neue Welt, in ihr neues Leben, war meist nicht viel. Aber vielleicht war ein Instrument dabei, und ganz sicher die Musik der Väter. Musik, an der man sich festhalten konnte. Musik, die an alte Geschichten erinnert und gleichzeitig die Sorgen vergessen lässt. Musik, die einen auf die Beine bringt. Und ein Baum als Tanzpartner, der findet sich überall auf der Welt.

Di Grine Kuzine: „Berlin Wedding“ (Skycap Records/ RTD) Record Release Party am 25. 2. im Kesselhaus