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Archiv-Artikel

Soll ich schon mal spülen?

GENUSS Bernd Riexinger ist nicht nur Chef der Linkspartei. Er kocht auch gern. Eine Begegnung in der Küche

Das politische Dinner

■ Was soll das? Bernd Riexinger, Chef der Linkspartei, kocht unter journalistischer Beobachtung.

■ Was gibt es? 1. Blattsalate mit Pfirsichfilets, Mozzarella und Serrano-Schinken. 2. Rinderfilet mit Kräuterfüllung in Portweinsauce, Kartoffelgratin. 3. Panna cotta mit Schokoladensauce

VON ANJA MAIER, STEFAN REINECKE (TEXT) UND DAGMAR MORATH (FOTO)

Bernd Riexinger hat eingekauft. In zwei großen Taschen schleppt er alles herbei für ein Drei-Gänge-Menü. Kurz lässt er sich die Küche erklären. Hier Besteck, da die Gewürze. Es kann losgehen.

Bernd Riexinger, 57 Jahre alt, ist Hobbykoch. Aber seit er Vorsitzender der Linkspartei ist, hat er kaum noch Zeit, sich an den Herd zu stellen. Hinzu kommt eine gewisse kulinarische Desillusionierung, die Schwaben in Berlin heimsuchen kann. In der Kantine der Parteizentrale im Karl-Liebknecht-Haus in Berlin-Mitte wird noch gekocht wie zu DDR-Zeiten: Hackbraten mit brauner Soße, Kartoffelbrei und rosa Pudding mit Haut. „Entlang der Mainlinie“, erklärt Riexinger, „klafft zweifellos eine kulinarische Lücke.“

Um gemeinsam zu kochen, sind wir in der Küche der Journalistin verabredet. Essen, hungern, reinfressen: alles politische Kampfbegriffe. Der Grüne Joschka Fischer hungerte sich einst runter, bis er aussah wie ein Windhund. Botschaft: Der will was. Seit seinem Ausstieg aus der Bundespolitik legt er Kilo um Kilo zu. Peter Altmaier, Bundesumweltminister mit CDU-Parteibuch, gilt als begnadeter Koch und schaut aus wie ein guter Esser. Gefühlslage: gemütlich. Riexingers Parteifreundin Sahra Wagenknecht hat einmal „Hummer für alle“ gefordert.

Und Riexinger selbst? Was erfährt man über ihn, wenn man ihn kochen lässt?

Er hat jedenfalls keine Scheu vor Sahne, Öl und Kohlehydraten. Seit einem Jahr führt er die Linkspartei gemeinsam mit der rothaarigen Sächsin Katja Kipping. Wenn Riexinger sich ärgert, stellt er sich noch nachts um zehn an den Herd. Fleischküchle mit Kartoffelsalat, das ist sein Frustessen. „Natürlich leidet man auch, wenn man Verantwortung in einer Partei trägt.“

Seit einem Jahr lebt er in Berlin, in einer kleinen Wohnung. Im Juni 2012 wurde er neuer Vorsitzender der Linkspartei. Der damalige Göttinger Parteitag war ein Krisentreffen – die linke Fusion aus PDS und WASG drohte zu zerbrechen, in seiner Rede sprach Gregor Gysi von „Hass“. Riexinger, bis dahin Linke-Landesvorsitzender in Baden-Württemberg, galt als gewerkschaftsnaher Lafontainist. Mit mäßigen 53,5 Prozent wurde er gewählt. Eine Notlösung.

Heute kocht er drei Gänge für sechs Personen: die beiden Journalisten, sein Sprecher, die Fotografin, der Fahrer. Und er.

„Schön, wenn man der Presse mal Anweisungen geben kann“, sagt Riexinger und drückt dem Journalisten ein Netz Kartoffeln in die Hand, dazu den Schäler. Für Leute, die sich an SED-Zeiten erinnern können, als es Usus war, der Presse Anweisungen zu geben, hätte der Satz einen schrägen Unterton. Er, der Westler, käme gar nicht auf so was.

„Wenn ich heute ins Karl-Liebknecht-Haus gehe, habe ich das Gefühl: Das hier ist mein Arbeitsplatz.“ Es hat offenbar gedauert.

In sein Büro hat er zwei neue Bilder gehängt. Von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Mehr nicht. Pressesprecher, Büroleiter, Referent übernahm er einfach. „Ich kannte mich ja nicht aus.“ Sein Vorgänger Klaus Ernst gab ihm eine halbe Stunde Einführung, was man so macht als Parteichef. Das war es.

„Als Koch kann ich eigentlich alles“, behauptet Riexinger und schichtet Kartoffelscheiben in eine Auflaufform. Mediterran, Hausmannskost, vegetarisch. Kartoffelsalat ist eine Kunst, sagt er. Nur bei der asiatischen Küche „schwächele ich etwas“. Er kocht zur Entspannung.

Daheim in Stuttgart hat er das oft getan, für seine Lebensgefährtin und deren Tochter, die heute zwanzig ist. Nudeln oder ein schnelles Risotto. Menüs, wenn Freunde kamen. Auch schon mal was Komplexes wie Rehrücken mit Kirschsauce. Das ist für ihn Lebensqualität, weil Kochen kreativ ist, gesellig und beruhigend. Im Gegensatz zur Politik sehe man sofort, dass etwas dabei rauskommt.

Sein Ton wird munter, wenn er von früher erzählt. Als er Ver.di-Chef in Stuttgart war. 51.000 Mitglieder hat Ver.di dort, die Linkspartei hat im ganzen Bundesgebiet nicht viel mehr. Er erinnert sich gern, wie es Ver.di gelang, Erzieherinnen und Verkäuferinnen zu mobilisieren, sogar für Streiks. Auch die Müllabfuhr in Stuttgart, als die Arbeitszeitverlängerung von 38,5 auf 40 Stunden verhindert wurde.

Er sei ein „großer Anhänger von Arbeitszeitverkürzung“, sagt er und schiebt das Gratin in den Ofen, 160 Grad. Seine Leuchtfigur ist André Gorz, der undogmatische Theoretiker. Linke Theorie lernte Riexinger als Arbeitersohn bei den Pfadfindern. Damals, 1971, als er inspiriert von der antiautoritären Erziehung mit Kindergruppen arbeitete. Er wollte mal Entwicklungshelfer werden. Aber er machte eine Banklehre, mit 25 war er hauptamtlich Gewerkschafter.

„Wäre das machbar mit den Möhren?“, fragt er den Journalisten. Teilen und vierteln, bitte.

Bernd Riexinger bewegt sich souverän durch die Küche. Das Gratin droht zu früh fertig zu werden. Kein Drama. „Machen Sie die Umluft aus.“ Er macht den Eindruck von jemandem, der weiß, dass nichts schiefgehen wird. Er hat auch mehrere Sachen gleichzeitig im Griff.

Die Schalotten anschmoren, die Möhren im Blick haben und nebenbei die Frage beantworten, ob es eigentlich ein Problem sei, ein Schwabe in Berlin zu sein. Eigentlich nicht. Neulich aber hat mal ein Taxifahrer geschimpft: Ihr kauft hier alle Wohnungen weg! „Ja, da ist wahrscheinlich auch was dran“, sagt Bernd Riexinger.

Die Zitronenpresse ist gerade unauffindbar. Abwarten, wird sich schon fügen. Er hat für sechs Leute nicht zu viel, nicht zu wenig eingekauft. Und bedacht, dass sein Fahrer das Filet gut durch will. „Leider, das kränkt jeden Koch.“ Das Gratin bräunt im Ofen, der Salat ist fertig. „Soll ich schon spülen?“, fragt Bernd Riexinger. Auf keinen Fall.

In der Küche hat er die Präsenz eines Profis, dessen Erfahrung Schutz gegen jede Flatterhaftigkeit bietet. In seinen Erzählungen ist Riexinger einer, dessen Ich eine Neigung hat, zu verfliegen. Die Kämpfe in der Linkspartei? „Daran war ich nicht an vorderster Front beteiligt.“ Er sei „unbefangen“. Dass Gysi, Kipping und Wagenknecht die Talkshow-Plätze der Linkspartei okkupieren? „Ich dränge mich nicht auf.“ Die Bundestagswahl? „Katja Kipping, Matthias Höhn und ich haben ja noch nie eine Bundestagswahl organisiert.“

Er ist Parteivorsitzender, ein Schleudersitz, auf dem es bei der Linken noch keinen länger als zwei Jahre gehalten hat.

Seine Gewerkschaft hat ihn freigestellt. 5.800 Euro verdient er jetzt im Monat, weniger als bei Ver.di. Aber dorthin, wohin alle Politiker streben, in den Bundestag, zieht es ihn nicht. „Ich persönlich sehe meinen Platz nicht im parlamentarischen Betrieb“, sagt er sanft schwäbelnd.

Nach Göttingen war die Linkspartei erschöpft, müde vom Krieg der Flügel, Ost und West. Womöglich hat die Partei auf einen Ruhepol wie ihn gewartet. Unauffällig, von kaum spürbarer Präsenz. Der Satz „Für die Füllung braucht man im Rinderfilet seitlich eine fünf Mark große Öffnung“ gelingt ihm besser als „Ich kann auch Leidenschaft“.

„Für die Füllung braucht man im Filet seitlich eine fünf Mark große Öffnung“

BERND RIEXINGER, LINKSPARTEI-CHEF

Er ist habituell das Gegenteil von Oskar Lafontaine, dem Geltungssüchtigen, als dessen Stellvertreter er anfangs verstanden wurde. Etwa zweimal im Monat telefoniert er mit ihm. „Ich frage ihn nicht, wenn Entscheidungen anstehen.“

Die misstrauische Intelligenz, das Rampensauhafte, die nur schwerlich kaschierte Egomanie – all die Berufsdeformationen der Spitzenpolitiker scheinen ihm, dem Neuling, noch fremd zu sein.

Er ist bis jetzt ein Parteichef im Halbschatten. Seit Göttingen gab es nur eine Wahl: Niedersachsen, für die Linke eine Niederlage. Aber es war nicht seine Niederlage. Keiner hat sie Kipping und ihm aufs Konto gebucht. Bayern, Hessen, die Bundestagswahl allerdings – diese Ergebnisse werden alle auf seinem Konto stehen. „Die Feuerprobe kommt noch“, sagt Bernd Riexinger.

Er kann bis 2014 als Ver.di-Chef nach Stuttgart zurückkehren. Seine Lebensgefährtin ist noch dort. Sie arbeitet als Sozialpädagogin mit Kindern, die Schulprobleme haben. Die beiden haben eine Wohnung in Stuttgart. Ganz nach Berlin ziehen? Riexinger ist skeptisch: „Der Umgang in der Partei ist härter als in der Gewerkschaft.“

Dann schmilzt er die Schokolade im Wasserbad und stürzt die vorbreitete Panna cotta auf die Dessertteller.

Glückliche Gesichter am Tisch. Der Salat nicht nur lecker, sondern auch schön anzusehen. Das Filetsteak ein Gedicht. Die Panna cotta nicht zu fest. Es ist kein Arme-Leute-Essen. Aber Riexinger könnte vermutlich auch preiswert eine zwanzigköpfige Mahnwache bekochen.

Ob er beim Spülen oder beim Aufräumen helfen könne, fragt er nach dem Espresso. Das jetzt bitte nicht! Aber zu Hause mache er doch auch alles selbst, sagt er, schon den Gedanken an eine Putzfrau findet er inakzeptabel. „Unmöglich“ findet er das, „dass in unserer Gesellschaft die einen für die anderen putzen müssen. Solche Arbeiten kann man sich doch teilen.“

Einmal, ein einziges Mal hat er doch putzen lassen. Da war Chaos, in der Partei, in seiner Wohnung, in der Politik. Er hat gebucht und gezahlt. Es ist ihm unangenehm, noch immer.

Anja Maier, 47, ist Parlamentskorrespondentin der taz. Sie kann es auch selbst, lässt sich aber lieber bekochen

Stefan Reinecke, 54, ist ebenfalls Parlamentskorrespondent. Wenn er kocht, dann höchstens Gulasch oder einen Auflauf