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Archiv-Artikel

Deutsch-griechische Symptome

Die Schatten „gewisser Kriegsereignisse“ während der deutschen Besatzungszeit reichen bis heute

Wer hätte das gedacht? Griechenland droht pleitezugehen, und just kommt es auch zum deutsch-griechischen Crash. Manch konservatives Blatt sieht – ob der Anschuldigungen, die griechische Krise resultiere aus unterlassenen Reparationszahlungen Deutschlands – in Anlehnung an Martin Walsers Moralkeule schon die Nazikeule durch die Luft wirbeln. Und aus Griechenland hört man: „Boykottiert deutsche Produkte!“. Selbst die Scharmützel mit dem östlichen Nachbarn der Bundesrepublik wirken dagegen ohne Verve. Was ist da los?

Pünktlich zur Krise ehrte nun der Verein der Freunde der Griechischen Kulturstiftung Berlin den Historiker Hagen Fleischer für seine Verdienste in der Aufarbeitung der deutsch-griechischen Beziehungen. Dieser bedankte sich mit einem Vortrag über die „Schatten des Krieges“, die offensichtlich bis heute reichen. Zuallererst brachte er eine Fußnote zur – wie er betonte – berechtigten Kritik an der hohen Staatsverschuldung Griechenlands an. Bemerkenswert sei, dass die schärfste Kritik aus jenen Ländern wie Deutschland stamme, die an der Spitze der Rüstungsexporte ständen und Griechenland ständig zu neuen Waffenkäufen animiere, ohne Rücksicht auf die Haushaltslage.

Wie gesagt, eine Fußnote – denn dann ging es in die Vollen. Die Häme, die nun aus Deutschland kommt und den Klientelismus und die Korruptheit des „Pleite-Griechen“ (Bild) anvisiert, hat als Stereotyp einen Vorgänger. Schon unter der Okkupation Griechenlands durch Nazideutschland 1941–1944 galt der Grieche als Schieber und als korrupt. Überhaupt ist dieses Kapitel der deutsch-griechischen Beziehungen lange Zeit ein weißer Fleck in der Erinnerung an den Naziterror geblieben. In den Besuchen der Repräsentanten der Bonner Republik verwies man stets auf die großartigen kulturellen Beziehungen vom Philhellenen im 19. Jahrhundert bis zum heutigen Hellastourismus. Vorkommnisse in der deutschen Besatzungszeit wurden als „gewisse Kriegsereignisse“ verharmlost, Massaker wie das von Distomo (1944) benannt, Schuldbekennung hingegen vermieden.

Reparationszahlungen, wie die in den vergangenen Tagen immer wieder vom Auswärtigen Amt angeführten 115 Millionen DM, die Bonn 1960 zahlte, sind unter Druck ausgezahlt worden. Nicht erwähnt wird, dass die Griechen daraufhin ein Amnestiegesetz für deutsche Kriegsverbrecher beschlossen. Bis heute ist die Reichsschuld gegenüber Griechenland seitens der deutschen Regierung ignoriert worden. Die antideutschen Reaktionen in Griechenland, die weniger Folge der zurückhaltenden Hilfe Deutschlands als vielmehr der aktuellen Häme gelten, sind ein deutliches Symptom dafür, dass hier schon längst etwas hätte aufgearbeitet werden müssen.

PHILIPP GOLL