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Archiv-Artikel

„Rezeptionsekstase hat bei mir immer Vorrang“

SELBSTVERSTÄNDNIS Der Kulturkritiker Diedrich Diederichsen über die „Spex“-Opposition zum linken Mainstream der frühen 80er

Diedrich Diederichsen

■ geboren 1957, war von 1985 bis 1990 Chefredakteur der Spex in Köln. Er publiziert unter anderem in der taz, theater heute und der Zeit. Lehrtätigkeit in Stuttgart, Pasadena/Kalifornien und seit 2006 als Professor für Theorie, Praxis und Vermittlung von Gegenwartskunst an der Akademie der bildenden Künste Wien.

INTERVIEW JULIAN WEBER

taz: Herr Diederichsen, die Spex hat eine Sprache geprägt, in der man über Pop schreiben kann. Welche Hürden gab es dabei zu überwinden?

Diedrich Diederichsen: Sie formulieren das, als wäre es eine klar umrissene Aufgabe. Aber der Gegenstand änderte sich ständig. Oft wurde über etwas, was außerhalb der Popmusik lag, bestimmt, was man gerade innerhalb der Popmusik machen wollte. Es gab etwa vorher keine Kombination mit bildender Kunst und Popmusik in einem Musikmagazin. Auch die Inklusion von bestimmten politischen Themen bei gleichzeitiger Ignoranz gegenüber anderen zeigt, dass der Gegenstandsbereich offen war und oft von Ideen jenseits der Musik bestimmt wurde.

Vor der Spex -Gründung 1980 gab es eine breite linke Gegenkultur. Ihr gegenüber war eine ästhetische Linke. Im Vorwort wird der Deutsche Herbst herangezogen, was hat er damit zu tun?

Ja, der Deutsche Herbst spielt natürlich bei der Transformation dieser linken Gegenkultur in eine Alternativkultur eine Rolle. Dass sich die Ziele verschoben haben von Kommunismus und Revolution hin zu Ökologie und Antiatomkraft-Bewegung, das war auch eine Konsequenz davon. Vor allem aber war dies eine viel größere Koalition, als es die radikale Szenelinke vorher je hingekriegt hatte. Diese große Koalition lehnte man als junger Mensch aus verschiedenen Gründen ab. Das verschärfte sich, als aus der Alternativ- die Friedensbewegung wurde. Das war für mich ein Nullpunkt der Politisierung. Was Sie ästhetische Linke nennen, waren wenige. Das Problem mit Spex war oft, dass für uns etwas durch war, was in der Wirklichkeit noch gar nicht richtig angefangen hatte. Wir glaubten 1985 schon wieder an die Gegenbewegung zur Ästhetisierung. Andere Jugendliche entdeckten, dass Frank Zappa ein interessanter Gitarrist ist, während wir in Hüsker Dü die Negation der Negation von Zappa sahen, also die Negation von Synthi-Pop. Man konnte aber selbstverständlich genauso gut Zappa und Hüsker Dü einfach als Gitarrenmusik hören.

Müssten in einer Spex -Textsammlung neben den Hits nicht auch Nieten enthalten sein?

Na ja, es sind ja nicht die größten Hits da drin. Außerdem weiß ich gar nicht, was die größten Nieten sind. Aber ich finde es zum Beispiel manchmal besser, etwas zu ignorieren. Die Simple Minds hätten nicht einmal verdient, von uns kritisiert zu werden. Durch dieses Buch sieht es nun so aus, als wären die Simple Minds eine relevante Band für die Spex gewesen. Und da sind noch ein paar andere extrem unwichtige populäre Trottel großflächig erwähnt, während wir in der Wirklichkeit ein ganzes Jahrzehnt mit Nikki Sudden trinken waren.

Sie haben gesagt, Ihnen sei daran gelegen, in Spex so obskurantistisch zu schreiben wie gerade noch erlaubt.

Das ist die Konsequenz aus dem Ernstnehmen des eigenen Fantums. Etwas war so begeisternd, es gibt so viel darüber zu wissen, man muss viel weiter in die Tiefe gehen. Wenn man eine Güterabwägung macht zwischen gelungener Kommunikation, also zwischen sogenannter Verständlichkeit und der Treue zum Gegenstand, oder der Treue gegenüber der eigenen Begeisterung, bin ich für Letzteres. Die Rezeptionsekstase hat bei mir immer Vorrang vor dem gelungenen Kommunikationsvorgang. Einer, der in eine Rezeptionsekstase gerät, ist doch viel interessanter zu beobachten als jemand, der Informationen verteilt.

Als 1957 Geborener sind Sie ein Stück weg vom Zweiten Weltkrieg, aber zu jung für 68. Sie konnten sich durch die Opposition zu den 68ern in Position bringen. Im Vergleich zu allen Nachgeborenen hatten Sie es ökonomisch leichter.

Das Leben war billiger in den Städten, und deswegen glaubte man nicht so sehr daran, tolle Jobs machen zu müssen, und konnte es sich leisten, Angebote der Mainstream-Medien auszuschlagen.

Sie sind spielerischer in maßgebliche Positionen gekommen.

Das kann schon sein, dass die allgemeine Lage günstiger war, vor uns war sie aber noch günstiger. Ich denke an eine Stelle in Jan-Frederik Bandels Buch über die Geschichte der Palette, wo Harun Farocki sich erinnert, er hätte damals überlegt, erstmal zehn Jahre auszusteigen: Wenn man mit Ende 20 zurückkommt, hat man hinterher immer noch jede Möglichkeit. Ich weiß, dass die Option des Aussteigens unter den Leuten, die jünger waren, in meinem Umfeld in den Achtzigern langsam verschwand. Es hat auch damit zu tun, dass Disziplinierungsmaßnahmen griffen, man konnte nicht mehr ewig studieren und bekam kein Stipendium, wenn man nicht mit so und so viel Jahren seinen Magister hatte. Auf der anderen Seite hat es nicht nur damit zu tun, was ökonomisch möglich war: Es war um 1985 interessanter, in einer deutschen Großstadt einen Job im Kulturbereich zu machen, als 1975. Während man dagegen damals noch die Möglichkeit hatte, sich in eine Landkommune zurückzuziehen und irgendwelche Erfahrungen zu machen.

Was waren nach 1989 die Ansatzpunkte der Spex -Repolitisierung?

Man fand sich plötzlich in einer Nation wieder, vorher hatte man ja in einer Fußgängerzone gelebt, deren Architekt Simulation bei Baudrillard studiert hatte. Plötzlich gab es eine neue Rechte, auch intellektuell, und diese Leute trauten sich ans Licht. Es gab einen Rassismus, den man nicht mehr nur als Element einer politischen Lage zur Kenntnis nehmen konnte, auf die Musik sich bezog, die man schätzte, sondern der Leuten in nächster Nähe das Leben kostete. Und wir sahen, dass jetzt ein Kampf um kulturelle Hegemonie beginnt, bei dem man sich einschalten muss.

Warum haben Sie sich gegen den Abdruck Ihres Textes „The Kids are not alright“ entschieden, der die Ereignisse bei den rechten Riots von Rostock debattiert?

Der Text gehörte erstens in eine Debatte in der Spex, die man hätte komplett bringen müssen; zweitens standen seine wichtigeren Versionen an anderen Veröffentlichungsorten: Man druckt nicht die Vorstufe von etwas nach.

Warum wurde Spex damals akademischer?

Intellektuelle Interessen hatte es vorher genauso gegeben, nur kannten wir keine Verbündeten für die Beschäftigung mit Popmusik in akademischen Institutionen. Oder wir kannten sie nicht. Wir entwickelten dann selber institutionelle Fantasien: Wie schön wäre es, Seminare zu halten, in denen man zwei Stunden über eine Stelle bei Alex Chilton redet. Was wir aber schon in den 80ern hatten, waren Bücherseiten, in denen der neue Deleuze empfohlen wurde. Das, was von Wikipedia die „Cultural-Studies-Phase der Spex“ genannt wird, hatte damit zu tun, dass an den um uns herum existierenden Hochschulen Leute daran forschten, was uns interessierte. In dem Moment, wo es dieses für uns relevante Wissen gab, konnte man es nicht mehr ignorieren.

Spex ist inzwischen Teil der Berliner Medienlandschaft mit einem Klaus Theweleit als Autor. Verwundert Sie das?

Theweleit war für uns immer wichtig, obwohl er eine Generation älter war. Aber wir wären nie auf die Idee gekommen, ihn zu fragen, ob er für uns schreibt. Ich finde gut, dass Max Dax ihn gefragt hat. Wenn sich das Buch vorgenommen hat, die ganze Zeit zu dokumentieren, dann muss auch die Berliner Zeit dabei sein.

■ Eine ausführliche Fassung dieses Gesprächs ist auf taz.de/leben/musik zu finden