: Berlin ist chic bei türkischen Touristen
ITB-PARTNERLAND TÜRKEI Der deutsche Türkeitourismus boomt seit Jahren, Istanbul gilt als hippes Reiseziel. Türkische Touristen in Berlin haben dagegen immer noch Seltenheitswert. An mangelndem Interesse liegt das nicht, meinen die türkischsprachigen Stadtführerinnen Filiz Knopf und Canan Erkan
■ Die weltgrößte Reisemesse ITB in Berlin verzeichnet zum Auftakt eine gestiegene Nachfrage. „Die Besuchermenge ist leicht gewachsen, der Trend ist positiv“, sagte ITB-Chef Martin Buck am Donnerstag, dem zweiten Messetag.
■ Großes Interesse habe es für Länder des östlichen Mittelmeers wie die Türkei und Ägypten sowie die deutschen Reiseziele gegeben.
■ Die Messe ist bis Freitag Fachbesuchern vorbehalten, an den letzten Messetagen am Samstag und Sonntag öffnet sie auch für Privatbesucher. Die Tageskarte kostet 14 Euro, ermäßigt 8 Euro. Insgesamt werden rund 170.000 Gäste in den 26 Messehallen erwartet. (dpa)
VON ALKE WIERTH
Die Mauer sei ein Muss, sagt Filiz Knopf: „Die Mauerreste wollen unbedingt alle aus der Türkei kommenden Gäste sehen.“ Und seien dann oft enttäuscht: „Viele wundern sich darüber, wie niedrig die Mauer war. Sie meinen, da hätte man ja einfach rüberklettern können!“ Es ist dann an Filiz Knopf, zu erklären, wie die Grenzanlagen zwischen West und Ost einst wirklich aussahen und warum das mit dem Rüberklettern so einfach nicht war.
Die Stadtführerin Knopf, selbst türkischstämmig, macht türkischsprachige Führungen durch Berlin. Sie ist damit eine von drei beim Verband der Berliner Stadtführer registrierten Guides, die diesen Service anbieten – insgesamt hat der Verband 300 Mitglieder und bietet 24 Sprachen an. Die 46-jährige Knopf, energiegeladene ein Meter sechzig groß und eigentlich gelernte Erzieherin, hat vor fünf Jahren die Ausbildung zur Stadtführerin gemacht. Seither erklärt sie Reisegruppen aus der Türkei die deutsche Hauptstadt. Mal hat sie einen Einsatz pro Woche, mal nur einen monatlich.
Denn türkische TouristInnen sind bislang eine sehr kleine Gruppe unter den jährlich 2,5 bis 3 Millionen ausländischen Gästen in Berlin. Zwischen 200.000 und 300.000 BesucherInnen im Jahr kommen jeweils aus Spanien, Italien, Großbritannien und den Niederlanden, immerhin je 30.000 bis 50.000 aus Australien, Brasilien, China und Kanada. Genau 17.480 türkische Gäste registrierten die Berliner Hotels 2009.
Nur etwa knapp ein Viertel davon, schätzt Knopf, seien reine Touristen: „Die meisten der Gruppen, die ich führe, bestehen aus Ärzten, Architekten oder Wissenschaftlern, die zu Kongressen nach Berlin kommen.“ Für die gehöre eine Stadtführung fast immer zum Programm. Vor allem an der jüngeren deutschen Geschichte hätten türkische BerlinbesucherInnen viel Interesse, erzählt Knopf: „Für die preußische Vergangenheit interessiert sich dagegen kaum jemand.“ Die Teilung der Stadt und ihre Wiedervereinigung sind deshalb regelmäßig Themen ihrer Touren, ebenso der Holocaust und die Nazivergangenheit. Zwar seien dabei durchaus manchmal israelkritische Statements zu hören, sagt die Stadtführerin: „Anfangs. Doch viele begreifen hier, was der Antisemitismus angerichtet hat.“ Dabei sind es oft nicht die großen Gedenkstätten wie das Holocaustmahnmal, die die Gäste aus der Türkei bewegen. Sondern die kleinen, vor manchen Häusern in den Bürgersteig gelegten Gedenksteine mit Namen und Lebensdaten getöteter Juden und Jüdinnen: „Die Stolpersteine nehmen sie richtig mit.“
Diese Stolpersteine findet Filiz Knopf mit ihren Gruppen etwa auf Kreuzbergs Bürgersteigen. Denn auch ein Kreuzbergbesuch ist für die meisten türkischen Berlingäste ein Muss: „Wer als Tourist kommt, hat meist keine Verwandten hier“, erzählt Knopf. Die Vorstellungen, die sich die Gäste vom Leben der türkischen Einwanderer in Berlin machen, seien genauso unterschiedlich wie ihre Reaktionen auf die Kreuzberger Realität. „Manche freuen sich, dass es so viele türkische Geschäfte, Namen und Beschriftungen gibt“, sagt Knopf. Andere fänden Kreuzberg verwahrlost, schmutzig und heruntergekommen. „Aber ausnahmslos allen gefällt der Garten von Haci Osman“, ein türkischer Rentner, der ein kleines Mauergrundstück am Kreuzberger Mariannenplatz zu einer kleinen Dorfidylle mitten in der Stadt verwandelt hat.
„Berlin ist in bei den Türken“, sagt Canan Erkan. Auch sie ist Stadtführerin, seit 1998, damals war sie die erste türkischsprachige in Berlin. Heute macht die 41-Jährige mit ihrer Agentur Berlinea auch das „Incoming“: Hotel- und Restaurantbuchungen, Busse, Führungen und Abendprogramme organisieren für Touristen, nicht nur aus der Türkei. Um knapp 3.000 ist die Zahl türkischer BerlinbesucherInnen in den letzten drei Jahren gestiegen. Dass nicht mehr kommen, liegt nicht am mangelnden Interesse, meint Erkan. Ein Dreitagetrip von Berlin nach Istanbul ist je nach Reisezeit und Hotelklasse schon für drei- bis fünfhundert Euro zu haben – für Reisen in die umgekehrte Richtung müssen türkische TouristInnen gut das Doppelte zahlen: für viele ein zu teurer Spaß. Zudem gibt es nicht selten Probleme mit den Visa, die türkische Staatsbürger für Reisen nach Deutschland benötigen: Selbst bei den Kongressreisegruppen, erzählt Canan Erkan, „gibt es fast immer ein Mitglied, das dann doch kein Einreisevisum vom deutschen Konsulat bekommt“.
Es seien deshalb bislang vor allem wohlhabende Leute aus den großen Städten der Türkei, die nach Berlin kämen, so Erkan. Sie sieht ihren Job auch als Kulturvermittlung: „Wir bauen Vorurteile ab“, sagt die Unternehmerin: Vorurteile gegenüber Deutschland und den Deutschen, aber auch gegenüber den türkischen EinwanderInnen hier. Die bekommen die beiden Reiseführerinnen manchmal selbst zu spüren: „Oft nehmen die Leute uns am Anfang nicht richtig ernst“, sagt Knopf. „Sie denken, was können wir Gastarbeiterkinder ihnen denn schon über Berlin erzählen“, ergänzt Erkan, „oder auch, dass wir wahrscheinlich gar nicht richtig Türkisch können.“ Dabei ist es ihr ein besonderer Spaß, die speziellen Namen der Berliner für ihre Sehenswürdigkeiten oder auch typisch berlinerische Flapsigkeiten für die Gäste ins Türkische zu übertragen: „Federal Camasir Makinesi“ etwa ist die Übersetzung für „Bundeswaschmaschine“, auch bekannt als Bundeskanzleramt. Und durch Sprüche wie den auf das vom Bundespräsidenten bewohnte Schloss Bellevue bezogene „Kumas yukarida dalganiyorsa pacavralar icerdedir“ – auf Deutsch: „Hängt der Lappen oben, sind die Lumpen drin“ – bringt sie den türkischen Gästen die bei denen manchmal für Verwirrung sorgende „respektlos freche, aber offene Art“ der BerlinerInnen nahe.
Angst vor Fremdenfeindlichkeit, vor rechtsradikalen Übergriffen brächten manche der türkischen BesucherInnen mit, erzählen die Gästeführerinnen: „Einige fragen uns, wo es denn Neonazis gibt.“ Doch die beiden Berlinerinnen sehen keinen Grund, vor bestimmten Gegenden zu warnen: „Zudem sind die Gruppen ja fast immer begleitet, wir wissen immer, wo sie sind“, sagt Erkan. Gäste, die sich – wie umgekehrt viele Berliner Istanbulbesucher – vor allem ins wilde Nachtleben stürzen wollen, seien eher selten: „Junge Leute kommen bislang ja kaum“, sagt Filiz Knopf. Wer in die Disko will, dem empfehle sie den Ku’damm oder die Diskothek im Hotel Adlon: „Und die, die nach Nachtklubs fragen, verweise ich an die Taxifahrer. Die kennen sich da besser aus als ich.“
Komplizierte Sonderwünsche seien bei türkischen Gästen eher selten, sagt Canan Erkan: „Die Hotels dürfen aber gern etwas pompöser sein.“ Nach türkischem Essen oder Restaurants ohne Schweinefleisch fragten eigentlich nur religiöse BesucherInnen: „Es gibt aber auch andere, die hier ganz gern mal typisch deutsches Essen und auch Schweinefleisch probieren“, erzählt Filiz Knopf. Gerade ältere BesucherInnen wollten immer auch gern ins Pergamonmuseum zu dem dortigen aus der Westtürkei stammenden Pergamonaltar. „Wenn dann aber von Rückgabe und unrechtmäßigem Aneignen gesprochen wird“, wird die deutsche Staatsbürgerin und überzeugte Berlinerin Canan Erkan rigoros: „Dann erkläre ich ihnen, dass der ganz rechtmäßig hier ist.“
Und noch etwas fällt den beiden Guides ein, das den Besuch fast jeder Gruppe aus der Türkei abrundet: Shopping! „Viele, ganz egal, ob Männer oder Frauen, fragen uns ganz gezielt nach bestimmten Marken und wo man die hier bekommt“, sagt Erkan. Dabei seien sie gerade darin, ergänzt Filiz Knopf, gar nicht so bewandert: „Was in Sachen Mode in ist, lernen wir von den türkischen Touristinnen!“