Todgeweiht vor Freude quietschen

Hemmungslose Hedonisten, Speichellecker und Erbschleicher sind das Personal der klassischen Intrigenkomödie „Volpone“. Vor allem ist Dimiter Gotscheffs Inszenierung am Deutschen Theater jedoch ein Spektakel der Schauspieler

Mit gerecktem Kinn, erhobener Stirn und straffer Haltung stellt sich Volpone, der große Fuchs, dem Publikum vor. Ein Herr in geckenhaftem Anzug, der selbstgewiss in die Ferne blickt. Mephistophelisch, anzüglich und irgendwie mit einem Blitz von Wahnsinn im Augengrund. Dem Gold, das er in Fülle besitzt, gilt seine Morgenandacht.

Gold. Die Quelle jeder Freude, der Ursprung allen Glücks. Volpone, Clarissimo der Stadt Venedig, hegt keine Zweifel, dass es sich so verhält. Er ist ein Zyniker – und Hedonist: „Ich fröne jeder Laune, hemmungslos.“ Was nicht als Geständnis, vielmehr als Lehrsatz gemeint ist. Samuel Finzi skandiert da auf der Bühne des Deutschen Theaters jedes Wort, als würde er die Silben durch sämtliche Gesichtsmuskeln hindurchpressen. Das, was er sagt, muss man sich merken, denn es ist eine ganze Weltansicht. Warum sollte Volpone, der schlaue Strippenzieher, Skrupel haben, seine Mitmenschen hereinzulegen? Um ihn herum sind ohnehin nur Schurken. Erbschleicher, die auf seinen Tod warten, Speichellecker, die Präsente bringen und Intrigen schmieden ohne jede Scham.

Ein Höllenkreis ist diese Welt, und dementsprechend hat Stefan Heyne für Dimiter Gottscheffs Inszenierung von „Volpone“, einer Komödie von Ben Jonson aus dem Jahre 1605, die Bühne des Deutschen Theaters in eine schwarze Höhle verwandelt. Keine Menschen, Karikaturen des Menschengeschlechts passieren hier Revue. Voltore, ein Advokat (Sebastian Blomberg), schon dem Namen nach ein Geier, mit eingezogenen Schultern und aneinander gedrückten Knien, zittert bereits vor Erregung wegen der Aussicht, den Besitz des Clarissimo zu ergattern. Dann flitzt im Rollstuhl Corbaccio (der große Rabe) herein, ächzt und krächzt, offensichtlich todgeweiht, aber quietschend vor Freude, als Mosca (Wolfram Koch), Volpones Diener, ihm das baldige Hinscheiden seines Herrn ankündigt. Das vage Versprechen von Reichtum reicht offenbar schon aus, um den armseligen Erdgeschöpfen neue Lebenskräfte einzuflößen. Und es macht sie so blind, dass sie nicht mal den augenscheinlichsten Betrug durchschauen.

Ben Jonsons berühmte Komödie ist ein klassisches Intrigenspiel, dessen Handlung aus einer Reihe von Demaskierungen besteht. Zum Schluss bekommen alle ihre Strafe – ein moralsäuerliches Zuckerl für andere Zeiten, könnte man denken. Aber der Regisseur Dimiter Gottscheff umgeht die Schwelle zum Seicht-Larmoyanten, indem er alles überzeichnet, statt Satire ein Totentanz der Masken. Zwischen Vanitas-Symbolen und der Angst vor dem nahenden Ende schwelgen seine Ränkeschmiede in Lebenslust. Außer Rand und Band rasen sie, hüpfen, posieren, kreischen, schneiden Fratzen. Als wären die Körper angesichts der Begierde, die sie antreibt, nicht mehr im Zaum zu halten.

Volpones Geliebte, Lady Would-be, eine englische Touristin, macht es allen klar: Nicht nur um Geld und Machtgier, um Sinnesfreude geht es hier. Hinreißend komisch stellt Almut Zilcher die Wollust des nicht mehr taufrischen Vamps zur Schau, schwadroniert sich im pinkrosa Ballkleid durch die Weltliteratur.

Es ist überhaupt ein Spektakel der Schauspieler. Wo kein Handlungsstrang zu erkennen ist, der Entwicklungsmöglichkeiten böte, dürfen sie durch permanente Wandlung alle Register der Schauspielkunst ziehen. Am Ende aber schwillt aus allen Mündern ein Gackern an, wie eine Hühnerschar stellen sich die Schauspieler in Reihen auf. Vorbei ist das Spiel, Tricks und Tücke nützen nichts mehr. Selbst der größte Fuchs wird dann zum Huhn. AURELIANA SORRENTO

Nächste Aufführungen: 1. + 3. März