: „Unsere Politiker verstehen nur Druck“
Der als Kriegsverbrecher gesuchte Ratko Mladić wird nicht nur von seinen Getreuen geschützt. Ohne Druck würde keinem in Belgrad einfallen, den früheren Chef der bosnischen Serben auszuliefern, meint der Publizist Miloš Vasić
taz: Herr Vasić, vergangene Woche meldeten serbische und internationale Medien, General Ratko Mladić, der Kommandant der Armee der bosnischen Serben im Krieg 1992–95, sei gefasst worden. Die serbische Regierung dementierte umgehend, es dauerte aber, bis klar wurde, dass der vom UN-Kriegsverbrechertribunal angeklagte Mladić tatsächlich auf freiem Fuß ist. Was ist passiert?
Miloš Vasić: Das wissen wir nicht genau. Wir wissen aber aus Quellen innerhalb der serbischen Regierung, dass es einen fehlgeschlagenen Versuch gegeben hat. Dafür spricht, dass die Telefone aller unserer Informanten inklusive diverser Minister stundenlang abgeschaltet waren. Aber ob sich die ganze Aktion lediglich um den Versuch eines Gesprächs mit Mladić drehte, das zum Ziel hatte, ihn dazu zu bringen, sich freiwillig zu stellen, oder ob tatsächlich eine Aktion zu seiner Festnahme stattgefunden hat, bleibt vorerst unbekannt.
Es ist auch nicht das erste Mal, dass wir so etwas erleben. Aber dieses Mal kam der Fernsehsender CNN und stürzte sich auf die Geschichte. Es ist immer dasselbe: Wenn man die Radio- und Fernsehteams vor Ort fragt, warum sie gekommen sind, sagen die Kollegen immer: CNN ist da, da müssen wir auch.
Warum wird Mladić nicht einfach verhaftet?
Ein Grund ist, dass der politische Wille dafür fehlt. Einige unserer führenden Politiker glauben ernsthaft, dass Mladić ein Held ist. Und mit diesen Politikern will sich niemand anlegen. Der zweite Grund ist, dass sich Mladić sehr gut schützt. Das heißt, er ist von Leuten umgeben, die sehr professionell arbeiten. Nehmen wir nur das systematische Verbreiten von Desinformationen: Regelmäßig heißt es, Mladić war hier, Mladić war dort, er wurde mal hier und mal dort gesehen. Die Leute, die Mladić suchen, haben sehr begrenzte Ressourcen, müssen aber gleichzeitig jeder Information nachgehen. So führen Mladić’ Beschützer seine Jäger regelmäßig in die Irre.
In den westlichen Medien heißt es immer wieder, die jugoslawische Armee beschütze den ehemaligen Oberbefehlshaber der bosnischen Serben. Ist das so?
Ich glaube eher, es geht hier um verwilderte Teile der Armee und der Polizei – um eine Clique aus Mladić’ Bewunderern und seinen ehemaligen Mitarbeitern aus der Kriegszeit. Die haben kein Interesse daran, dass er gefasst wird und alles Mögliche erzählt. Der Konsens zwischen diesen Leuten ist: Wir wollen keine Gefangennahme von Mladić.
Weiß die serbische Regierung wirklich nicht, wo Mladić steckt?
Ich glaube, einige Leute in der Regierung wissen es und andere nicht. Die derzeitige serbische Regierung ist ausgesprochen heterogen. Sie besteht aus verschiedenen, völlig unterschiedlichen Parteien. Die arbeiten nur deshalb zusammen, weil sie nicht anders können. Es gibt keine anderen Regierungsmehrheiten im serbischen Parlament.
Was halten Sie von den immer wieder auftauchenden Gerüchten, denen zufolge ausländische Regierungen dem General der bosnischen Serben garantiert haben, dass er nicht verhaftet wird?
Ich weiß nicht, wer Ratko Mladić vor zehn Jahren was versprochen hat. Aber ich bin sicher, dass das Versprochene heute nicht mehr gilt. Mladić hat sicherlich noch immer Unterstützer in Westeuropa. Die stammen aber aus politisch marginalisierten Kreisen, die nichts zu sagen haben.
Im Westen heißt es, die serbische Öffentlichkeit würde sehr negativ auf eine Verhaftung Mladić’ reagieren. Wie schätzen Sie das ein?
Ich persönlich bin sicher, dass es keine echten Tränen geben wird, wenn er endlich verschwindet. Ich glaube, dass sich Premierminister Koštunica einerseits vor der Reaktion der Straße fürchtet. Andererseits nutzt er aber den Druck der internationalen Gemeinschaft, um seine Regierung zusammenzuhalten. Er kann seinen Koalitionären immer wieder vor Augen halten, dass sie alle verantwortlich gemacht würden, wenn Mladić gefasst und die Regierung dafür gestürzt werden würde.
Wirkt der Druck, den unter anderen das UN-Kriegsverbrechertribunal, die Europäische Union und die Vereinten Nationen auf die serbische Regierung ausüben, positiv oder negativ auf eine Verhaftung?
Wenn die internationale Gemeinschaft keinen Druck ausüben würde, würde denen hier niemals einfallen, Mladić zu verhaften. Druck ist die einzige Sprache, die unsere Politiker verstehen.
Wird das neueste Ultimatum der EU, die Stabilisierungs- und Assoziierungsgespräche mit Serbien und Montenegro auszusetzen, zu einer Festnahme führen?
Das ist schon das was weiß ich wievielte Ultimatum. Wir werden sehen, was passiert. Ich erwarte allerdings nicht allzu viel.
INTERVIEW: RÜDIGER ROSSIG