: „Echte Inklusion gibt es bei uns noch nicht“
INTERVIEW II (WAS ER EIGENTLICH SAGEN WOLLTE) Für Menschen mit Lernschwäche werden alltägliche Ausdrucks- formen in Leichte Sprache übersetzt. Von der Verständlichkeit kann jeder profitieren – wie beim Gespräch mit Jürgen Schneider
taz: Herr Schneider, was ist Inklusion?
Jürgen Schneider: Das Wort „Inklusion“ klingt gut.
Oft wird das Wort „Inklusion“ falsch verwendet.
Echte Inklusion gibt es bei uns noch nicht.
Deshalb ist dieser Zustand nur schwer zu erklären.
Und wie erklären Sie den Begriff so, dass ihn jeder versteht?
Inklusion ist, wenn Menschen mit Behinderung von Anfang an überall dabei sind.
Und wenn die Menschen mit Behinderung überall willkommen sind.
Sie müssen nicht extra fragen, ob sie dabei sein und mitmachen dürfen.
Wie barrierefrei ist Berlin?
Viele Barrieren sind im Bereich Verkehr bereits abgebaut.
Es gibt viele Fußwege mit abgesenkten Kanten.
Aber es sind noch nicht genug.
Für die Bewegungsfreiheit erhält Berlin die Schulnote 2 –.
Das ist gut.
Wie barrierefrei ist Berlin im Bereich Wohnen?
Es gibt zu wenig Wohnungen für Rollstuhlfahrer.
Und für ältere Menschen.
Der Bau von barrierefreien Wohnungen wird nicht mehr gefördert.
Deshalb bekommt der Bereich Wohnen die Schulnote 5.
Die Wohnsituation für Menschen mit Behinderungen ist in Berlin sehr schlecht.
Wie barrierefrei ist der Bereich Arbeit?
Auf dem ersten Arbeitsmarkt finden Menschen mit Behinderung nur schwer eine Arbeit.
Egal, welche Behinderung sie haben.
Alle Menschen haben ein Recht auf Arbeit.
Deshalb arbeiten viele Menschen in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen.
Das Land Berlin soll mehr Auszubildende mit einer Behinderung beschäftigen.
Der Bereich Arbeit ist in Berlin ausreichend.
Der Bereich Arbeit bekommt die Schulnote 4.
Wie barrierefrei sind die Schulen?
Kinder mit leichten Schwierigkeiten bekommen die Hilfen, die sie in der Schule brauchen.
Das Land Berlin fördert diese Hilfen.
Damit gemeinsames Lernen an einer Schule für alle Kinder gelingt, müssen Kinder mit schweren Behinderungen auch genügend Hilfen bekommen.
Es gibt mehrere Barrieren in den Schulen.
Der Bereich Schulen bekommt die Schulnote 3.
Wie barrierefrei sind Universitäten?
Viele Unis in alten Gebäuden sind nicht barrierefrei.
Aber auch neu gebaute Hochschulen haben Barrieren.
Niemand prüft die baulichen Barrieren während der Bauphase.
Zum Beispiel so, wie man den Brandschutz prüft.
Dafür muss es Experten von Anfang an geben.
Und die Lehrer müssen Barrieren erkennen.
Und die Lehrer müssen geschult werden, wie man diese Barrieren abbaut.
Der Bereich Hochschulen bekommt die Schulnote 3 –.
Und der Bereich Politik?
Der Bereich Politik bekommt die Schulnote 3 – bis 4.
Es gibt immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund.
Das sind Menschen aus dem Ausland, die nun in Berlin leben.
Diese Gruppe ist für die Politik sehr wichtig.
Sie werden heute stärker beachtet als die Interessen von Menschen mit Behinderungen.
Das sind schlechte Schulnoten für die Inklusion in Berlin.
Wir werden immer älter.
Und wir werden alle irgendwann eine Behinderung haben.
Wenn das jedem klar ist, wird es auch Inklusion in Berlin geben.