SONJA VOGEL LEUCHTEN DER MENSCHHEIT
: Grüße aus Rostock-Lichtenhagen

Berlin gilt als tolerant. Ein schwuler Bürgermeister regiert, es gibt türkischsprachige Polizisten, vier Millionen ausländische Touristen kommen jedes Jahr. Und auch 4.000 Flüchtlinge. Eine Handvoll im Vergleich. Doch hier hört die Toleranz der Berliner auf. Wenn die Geflüchteten in ihrem Kiez wohnen sollen, sind wenige schon zu viel.

Daher machten knapp tausend aufgebrachte Anwohner in der vergangenen Woche bei einer „Informationsveranstaltung“ des Bezirks Marzahn-Hellersdorf ihrem Ärger Luft. Der Anlass: In einer leer stehenden Schule soll eine Gemeinschaftsunterkunft eingerichtet werden. Stadtbekannte Neonazis standen Seite an Seite mit den besorgten Nachbarn. „Nein zum Heim!“ skandierten die einen, „Deutschland den Deutschen“ die anderen.

„Es gibt keine Pogromstimmung“, erklärte der Bezirksbürgermeister. Rechtsextreme hätten die Versammlung gesprengt. Auf den Mitschnitten, die im Internet kursieren, sieht man indes: Hetzt einer am Mikrofon, wird ihm frenetisch Applaus gespendet. Nicht von Einzelnen. Von fast allen. Unter den Aufgebrachten ist ein junger Glatzkopf, auf dem Rücken seines T-Shirts trägt er das Datum, zu dem der deutsche Mob in Rostock-Lichtenhagen gegen die Bewohner eines Flüchtlingswohnheims wütete: „22.-26.8.1992“.

Bevor die Anwohner dort zur Tat schritten, wurde wochenlang ungestört gehetzt. Politik und Behörden haben nicht reagiert. In Berlin gibt es immer wieder Anwohnerproteste gegen Flüchtlingsunterkünfte – in den armen wie in wohlhabenden Bezirken. „Geplante Neueröffnungen von Unterkünften, wie in Neukölln oder Reinickendorf, wurden von Bezirksvertreter_innen der Parteien CDU und NPD genutzt, um rassistische Vorurteile zu schüren und die Bürger_innen aus der Umgebung gegen die Geflüchteten aufzubringen“, fasst Jonas Feldmann zusammen. Seinen Aufsatz und weitere kann man in einem Sammelband des antifaschistischen Pressearchivs apabiz und der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus lesen („Berliner Zustände 2012. Ein Schattenbericht über Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus“, Berlin 2013).

Einen Vorgeschmack auf das, was kommen könnte, gab eine Bustour, die die NPD am vergangenen Wochenende in Berlin veranstaltete. Die Neonazis zogen von Flüchtlingsunterkunft zu Flüchtlingsunterkunft. Noch blieben die Nachbarn in ihren Häusern. Aber spätestens, wenn die 400 Flüchtlinge in Hellersdorf einziehen, werden sie wieder auf der Straße stehen.

Die Autorin ist ständige Mitarbeiterin der taz-Kulturredaktion