: Selbstständig in die Pleite
Knapp 800.000 Menschen arbeiten in NRW auf eigene Rechnung. Viele Existenzgründer scheitern nach kurzer Zeit. Jetzt können sie in die gesetzliche Arbeitslosenversicherung
VON SEBASTIAN HEISER
Wer sich selbstständig machte und scheiterte, musste bis vor kurzem fortan von Arbeitslosengeld II leben: 345 Euro im Monat plus Miete und Heizung. Nur Angestellte waren in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung und hatten so für eine begrenzte Zeit einen Anspruch auf das deutlich komfortablere Arbeitslosengeld I. Doch seit Februar diesen Jahres können sich auch Selbstständige unter bestimmten Voraussetzungen freiwillig in der Arbeitslosenversicherung anmelden (siehe rechts).
Das lohnt sich für viele Selbstständige in Nordrhein-Westfalen. Immerhin 787.000 Menschen arbeiten hierzulande auf eigene Rechnung, wie sich aus den Zahlen ergibt, die das Landesamt für Statistik Ende Dezember veröffentlicht hat. Doch viele Existenzgründer scheitern schnell, das zeigen exemplarisch die mit den Hartz-Gesetzen eingeführten Ich AGs.
In NRW erhielten von 2003 bis Ende November 2005 laut der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit gut 54.500 Personen Existenzgründungszuschüsse. Etwa 20.200 haben die Förderung zur Ich AG, die eigentlich auf drei Jahre angelegt ist, bereits wieder abgebrochen. Das entspricht einer Quote von gut 37 Prozent.
„Zwei bis vier Jahre nach der Existenzgründung kommt die kritische Phase“, sagt Anne Sahn von Creditreform, einem Verein, der die Zahlungskräftigkeit von Unternehmen bewertet. Ein Drittel der Unternehmensinsolvenzen stammt von Firmen, die in den vergangenen vier Jahren gegründet wurden. In diesem Zeitraum stellt der Gründer häufig neue Mitarbeiter ein und muss dann für diese Verantwortung übernehmen und Aufgaben delegieren. Gerade handwerklich oder technisch orientierte Gründer seien damit häufig überfordert, erläutert Sahn.
Viele gescheiterte Existenzgründer sind anschließend so verschuldet, dass sie ein privates Insolvenzverfahren einleiten müssen. 18.660 Menschen beantragten im Jahr 2005 in NRW die Privatinsolvenz, ein Drittel mehr als im Jahr zuvor.
Nicht nur die Bundesregierung unterstützt das Wagnis in die Selbstständigkeit, auch das Land mischt kräftig mit. Zum Beispiel durch den neuen Kredit der NRW.Bank (ehemals: Landesbank NRW) für Existenzgründer und Mittelständler. Allein für das Jahr 2006 steht eine Milliarde Euro an zinsgünstigen und flexibel einsetzbaren Förderdarlehen bereit. „Durch diese besonders günstigen Finanzierungskonditionen werden zusätzliche Anreize geschaffen, in Nordrhein-Westfalen zu investieren“, sagt Ulrich Schröder, Vorstandsvorsitzender der NRW.Bank. Was er nicht sagt: Durch die niedrigen Zinsen der Bank werden auch Menschen zur Existenzgründung verleitet, deren Geschäftsmodell sich nicht rechnen würde, wenn sie auf einen Kredit zu marktüblichen Konditionen angewiesen wären. Das Risiko für die nicht bezahlten Kredite tragen die Eigentümer der Bank – das Land Nordrhein-Westfalen und die Landschaftsverbände – und damit letztlich der Steuerzahler.
Die Landesregierung unterstützt Existenzgründer auch direkt. Insgesamt 94 Millionen Euro gingen beispielsweise in den vergangenen zehn Jahren an 10.000 Handwerksmeister, die den Sprung in die Selbstständigkeit wagten. Das Wirtschaftsministerium zahlt die Prämie von derzeit 5.000 Euro an jeden Meister, der einen Betrieb gründet, übernimmt oder sich daran mehrheitlich beteiligt.