: „Grundrechte werden fundamental verletzt“
Die von der Europäischen Union angeordnete Vorratsspeicherung von Verbindungsdaten bei Telefon, E-Mail und im Internet schränkt die Kommunikationsfreiheit aller Europäer unzulässig ein, kritisiert der Datenschützer Thilo Weichert
taz: Herr Weichert, eine neue EU-Richtlinie schreibt vor, dass die Verbindungsdaten des Telefon-, E-Mail- und Internet-Verkehrs mindestens sechs Monate auf Vorrat gespeichert werden. Was sagt der Datenschützer?
Thilo Weichert: Hier wird ein Generalverdacht gegen die gesamte Bevölkerung Europas institutionalisiert. Eine derart umfassende Vorratsspeicherung von Daten verstößt fundamental gegen europäische und deutsche Grundrechte. Sie verletzt das Grundrecht der Fernmeldefreiheit und das informationelle Selbstbestimmungsrecht. Die Maßnahme ist weder geeignet noch erforderlich, noch verhältnismäßig.
Glauben Sie, dass die Menschen künftig weniger oder anders telefonieren, e-mailen und im Internet surfen?
Davon bin ich fest überzeugt. Die Menschen werden aus Angst vor Überwachung ihre Kommunikation beschränken. Das werden nicht zuletzt die Anbieter von Waren und Dienstleistungen im Internet spüren.
Es sollen nur die Verbindungsdaten gespeichert werden, also mit wem ich wann telefoniert und gemailt habe – nicht aber der Inhalt der Gespräche und Mails. Auch die im Internet angesehenen Seiten sollen nicht gespeichert werden …
Die meisten Menschen werden da nicht so genau unterscheiden können. Sie werden aber wissen, dass sie künftig vorsorglich überwacht werden und dass ihnen diese Erkenntnisse vorgehalten werden können.
Im Einzelnen: Warum soll die Vorratsspeicherung ungeeignet sein? Dank des Wissens, wer mit wem telefonierte oder E-Mails wechselte, konnten doch schon Verbindungen im internationalen Terrorismus und der so genannten organisierten Kriminalität aufgedeckt werden.
Mit etwas technischer Raffinesse kann man sich dieser Überwachung entziehen. Man kann Anonymisierungsdienste auf Servern im außereuropäischen Ausland, zum Beispiel in den USA oder auf den Bermudas, nutzen. Wer mit viel krimineller Energie arbeitet, wird sich diese Mühe sicher machen. Die Vorratsdatenspeicherung betrifft dann nur den Rest der Bevölkerung.
Vielleicht sind Verbrecher doch unvorsichtiger, als wir denken. Obwohl sie wissen, dass ihre Telefongespräche nach richterlichem Beschluss schon jetzt abgehört werden können, hat die Polizei mit dieser Methode immer noch häufig Erfolg …
Dennoch ist eine Vorratsspeicherung der Verbindungsdaten nicht erforderlich, denn es gibt ein milderes Mittel, das so genannte Quick Freeze, wie es in den USA angewandt wird. Beim Quick Freeze gehen die Strafverfolger im Verdachtsfall auf einen Provider zu und bitten, die Verkehrsdaten des Verdächtigen ab sofort zu speichern. Binnen 90 Tagen kann dann ein richterlicher Beschluss erwirkt werden, der die Nutzung der so gespeicherten Verbindungsdaten erlaubt. In den USA hat man damit gute Erfahrungen gemacht. Und es muss uns doch zu denken geben, dass nicht einmal die USA eine Vorratsspeicherung der Verbindungsdaten vorsehen.
Die Vorratsspeicherung soll sicherstellen, dass nach einem Anschlag durch bisher unbekannte Attentäter deren Kommunikation im Vorfeld überprüft werden kann. Mit dem Verfahren Quick Freeze lässt sich das aber nicht machen.
Auch in solchen Fällen hat der Provider Verbindungsdaten der Vergangenheit oft zu Abrechnungszwecken gespeichert.
Aber der Teilnehmer kann auf diese Speicherung verzichten oder er kann eine Flatrate wählen, bei der keine Abrechnung einzelner Verbindungszeiten mehr nötig ist. Ist die Vorratsspeicherung nicht doch deutlich wirkungsvoller?
Sie ist jedenfalls eindeutig unverhältnismäßig. Es kann doch nicht sein, dass die Verbindungsdaten von 80 Millionen Bundesbürgern gespeichert werden, nur um vielleicht 5.000 Berufsverbrecher besser überwachen zu können. Auch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat in seinem Volkszählungsurteil von 1983 eine Vorratsspeicherung von Daten grundsätzlich untersagt.
Es hat eine Vorratsspeicherung zu unbestimmten Zwecken untersagt. Hier ist der Zweck aber doch klar und bestimmt: Es geht um Strafverfolgung.
Eine Strafverfolgung ins Blaue hinein wird vor dem Bundesverfassungsgericht nie Bestand haben.
Kann gegen eine EU-Richtlinie überhaupt das Bundesverfassungsgericht angerufen werden?
Im Verlauf konkreter Strafverfahren könnte der Europäische Gerichtshof um eine Prüfung gebeten werden, ob die Richtlinie gegen EU-Grundrechte verstößt. Und das Bundesverfassungsgericht könnte gegen den deutschen Umsetzungsakt angerufen werden.
INTERVIEW: CHRISTIAN RATH