: Polizei folgt altem Leitsystem
Eigentlich sollte das überholte Computer-Einsatzleitsystem der Polizei Ende dieses Jahres erneuert werden. Daraus wird nichts, da die beauftragte Firma Pleite ging. Jetzt muss die Software für die Steuerung des Streifendiensts neu ausgeschrieben werden
VON OTTO DIEDERICHS
Das Computer-Einsatzleitsystem ist im Grunde das Herz der Polizei. Wenn es dabei hapert, geht in der Einsatzleitzentrale das Licht aus. Das ist mehr als problematisch, denn dort läuft alles zusammen. Dort kommt der Notruf 110 an, der eventuell einen schnellen Einsatz der Schutzmänner und -frauen nötig macht. Von der Leitzentrale wird der Streifendienst der Funkwagen ebenso gesteuert wie eine aktuelle Fahndung, der Großeinsatz bei Demonstrationen oder bei der Fußball-WM im Sommer.
Damit die Leitzentrale einwandfrei funktioniert, sollte eigentlich Ende dieses Jahres das neue Computer-Einsatzleitsystem in Betrieb gehen. Doch daraus wird nichts. Auch wenn ein akutes Herzversagen deshalb noch nicht zu befürchten ist – ein Kammerflimmern lässt sich schon diagnostizieren. Grund hierfür sind ein Kollaps an ganz anderer Stelle und die Berliner Haushaltsordnung. Um dies zu verstehen, ist ein kurzer Rückblick nötig.
Tragische Umstände
Zuletzt hatte die Berliner Polizei ihr aus den 70er-Jahren stammendes Leitsystem 1995 modernisiert. Doch auch das ist inzwischen veraltet und überfordert. Ein Update war also notwendig. Folgerichtig wurde im Dezember 2003 eine kleine, aber renommierte Informatikfirma in der Nähe von Stuttgart mit der Neuentwicklung beauftragt. Aufgrund eines tragischen Todesfalles musste der Betrieb jedoch ein halbes Jahr später unerwartet Insolvenz anmelden. Als daraufhin ein Schweizer Informatikanbieter die Firma aufkaufte, bedeutete das für die rund 30 Beschäftigten zwar Glück im Unglück, nicht jedoch für die Berliner Polizei. Denn die neuen Schweizer Besitzer sind mit der Entwicklung schlicht überfordert.
Kleinere Leitsysteme für kommunale Feuerwehren und Rettungsdienste haben sie bislang schon erstellt. Ein komplexes stadtweites Computersystem für Berlin aber ist für die Nachfolgefirma offenbar eine Nummer zu groß. Trotz Nachfristen blieb der Polizei so nichts weiter übrig, als den Vertrag Anfang Februar zu kündigen. Im Amtsdeutsch heißt so etwas, „ein verlässlicher Zeithorizont“ sei zuletzt „nicht mehr absehbar“ gewesen.
Wie also weiter? Diese Frage treibt nicht nur den bei der Berliner Polizei für die Informations- und Kommunikationstechnik (IuK) zuständigen Leitenden Kriminaldirektor Ulrich Bechem um. „2007 hätte ich mit dem alten System eigentlich nicht mehr arbeiten wollen“, sagt er. Dennoch sei er „guter Dinge“. Zwar müsse man nun mit dem alten Einsatzleitsystem ins nächste Jahr gehen; immerhin sei es aber „gut gewartet“ und somit „gut aufgestellt“. Mit einem neuen System rechnet Bechem jetzt für den Herbst nächsten Jahres.
Geld neu freigeben
Zweifel sind jedoch angebracht. Denn zunächst muss die Polizei den Auftrag wieder europaweit ausschreiben. Das dauert. Immerhin sind die bislang gezahlten Gelder in Höhe von circa 600.000 Euro wieder in Berlin angekommen. Über einen eventuellen Schadensersatz muss noch verhandelt werden. Doch was geschieht mit dem Geld? Nach der Haushaltsordnung geht es nicht unmittelbar an die Polizei zurück, sondern in die Landeskasse. Somit muss es vom Haushaltsausschuss des Parlaments wieder neu freigegeben werden.
Eberhard Schönberg, der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, fordert denn auch: „Die Knete muss ohne Umwege direkt in den Polizeihaushalt zurückfließen.“ Hier gibt sich IuK-Chef Bechem optimistisch. Aus dem Haus von Innensenator Ehrhart Körting (SPD) gebe es „positive Signale“. Doch jeder in Berlin weiß: Was Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) erst einmal in den Fingern hat, gibt er ungern wieder her.
Von den Parteien ist das drohende Herzkammerflimmern bisher unbemerkt geblieben. Steffen Zillich von der mitregierenden Linkspartei weiß von nichts, sagt aber: „Die Finanzierung wird man hinbekommen müssen.“ Der grüne Fraktionsvorsitzende Volker Ratzmann will bei Polizeipräsident Dieter Glietsch um Aufklärung bitten. Und Alexander Ritzmann, der innenpolitische Sprecher der FDP, sagt: „Wir wissen ja nur, was man uns sagt. Bisher hat uns aber keiner was gesagt.“