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Archiv-Artikel

Hochhausstürmer

Nach dem 2:1 Englands über Uruguay wird vor allemüber den schlakisgen Angreifer Peter Crouch gesprochen

LIVERPOOL taz ■ Nomen est omen? Sicher nicht für Peter Crouch. Der Mann könnte gar keinen unpassenderen Nachnamen haben – „geduckte Stellung“ bedeutet er auf Deutsch. Der Stürmer vom FC Liverpool ist freakige 2,04 m lang und unheimlich dünn. Wie die längste Praline der Welt. Man hätte eine Leiter in die Mixed Zone bringen sollen. So musste man in etwa auf Höhe seines Brustkorbes erfahren, dass er „überglücklich“ über das erste Tor im Dress der Nationalelf sei und „sehr froh“, dass seine Einwechslung genau wie beim 3:2 gegen Argentinien im November „die gewünschte Wirkung“ erzielt hatte. Oder so ähnlich. Die genauen Worte rauschten über die Köpfe der Journalisten hinweg wie Düsenjäger.

Kollege Joe Cole war nach seinem Treffer zum 2:1 in der Nachspielzeit in erster Linie der gefeierte Held. Chelseas Flügelspieler war 90 Minuten lang der beste Spieler auf dem Platz, keine Frage. Das Spiel aber gehörte doch „Crouchy“, wie sie den Langen in der Kabine rufen, der 25-Jährige war der wahre Gewinner. Denn sein Kopfballtor (75.), der zwischenzeitliche Ausgleich, brachte nicht nur das insgesamt recht schwache England zurück in die Partie, sondern ihn auch zur WM. Er war im Lande lange umstritten, ist dank dieser Leistung jedoch als dritter Stürmer neben Wayne Rooney und Michael Owen gesetzt. Ob Sven-Göran Eriksson dazu noch einen oder zwei Angreifer mit nach Baden-Baden nimmt – und wer das sein wird –, ist noch nicht entschieden. Vor Crouch’ später Intervention – er war in der 65. Minute für Rooney gekommen – war bei den Gastgebern wenig zusammengelaufen. Die Uruguayer waren trotz eines verpassten Fliegers und dem daraus resultierenden Acht-Stunden-Aufenthalt in Rio die munterere Mannschaft. Locker und präzise lief der Ball bei den wenigen Kontern, hinten hatte der starke Kapitän Diego Lugano (São Paulo) keine Probleme. Der Mann dürfte bald bei einem europäischen Spitzenteam anheuern.

Als Omar Pouso dann noch aus 25 Metern einen Außenristvolley exakt ins linke Toreck setzte (26.), schien im ersten Spiel nach der „Scheich-Affäre“ und Erikssons angekündigter Demission im Juli alles auf eine mittelschwere Blamage hinauszulaufen. David Beckham und Gary Neville standen sich unverständlicherweise rechts ständig auf den Füßen, der angeschlagene Steven Gerrard kam nicht zur Geltung, Frank Lampard fehlte verletzt. In seinem Frust trat Beckham Mario Regueiro übel in die Hacken und hatte Glück, dass es der italienische Schiedsrichter bei einer gelben Karte beließ. Ansonsten fiel der Kapitän nicht weiter auf.

Seine Personalie könnte diesen Sommer noch problematisch für Eriksson werden. In dem Vierer-Mittelfeld hält Tottenhams Matthew Carrick die defensive Position vor der Abwehr. Lampard, Gerrard und Cole müssten, was die Leistung angeht, zweifelsohne die restlichen drei Plätze bekommen, Beckham zuschauen. Diese Debatte wird im Juni kommen. Falls alle fit bleiben. Zunächst darf sich Eriksson jedoch freuen, dass er das Empire State Building in seinen Reihen hat. „Crouch ist anders als alle Spieler, die wir haben“, sagte der Schwede, „wenn der hohe Ball richtig kommt, ist es unmöglich, gegen ihn zu verteidigen.“ Wahrhaft Leid tun musste einem Diego Godin, als Coles feine Flanke in den Strafraum segelte. Der Südamerikaner sprang, so hoch er konnte, Crouch nickte trotzdem völlig unbedrängt ein.

Man habe gegen den defensiven Gegner geduldig gespielt und sei nicht in Panik verfallen, freute sich Neville hinterher. Der zweite Last-Minute-Sieg in Folge gibt Anlass zu Optimismus, allerdings war gegen Uruguay schwer zu sehen, wo die Geduld aufhörte und die Hilflosigkeit anfing. Gerade weil aber im Mittelfeld vieles noch nicht funktioniert, ist Crouch eine derart starke Waffe. Er zwingt das Team mit seiner bloßen Anwesenheit zu einem direkten, englischeren Spiel, das in fünf Jahren unter Eriksson weitgehend verloren gegangen ist. Der Lange wird sehr wichtig sein, wenn es in Deutschland darum geht, die Sterne vom Himmel zu holen. Ob er dafür eine Leiter braucht?

RAPHAEL HONIGSTEIN