piwik no script img

Archiv-Artikel

WAS MACHT DER AUSLÄNDER? DAS DEUTSCHE KULTURGUT ANGREIFEN! Fotze. Fuck!

JACINTA NANDI

Weißt du, ob die Version von ‚Die Kleine Hexe‘, die gerade in den Buchhandlungen verkauft wird, die politische korrekte ist?“, frage ich den Ex, um ihn zu nerven. Er sieht immer am schönsten aus, wenn er genervt ist.

„Warum?“, fragt er.

„Ich will die unbedingt kaufen!“, sage ich.

„Und warum?“

Dann sage ich mit meiner süßesten Stimme: „Weil ich sehr lange das deutsche Kulturgut nicht angegriffen habe. Du weißt, wie wir Ausländer drauf sind: Hauptsache, immer das deutsche Kulturgut ein bisschen angreifen! Das deutsche Kulturgut darf nicht zu bequem werden, weißte.“

„Es geht nicht um das deutsche Kulturgut“, seufzt er. „Es geht um Kunst überhaupt. Kunst darf nicht nur wegen den Gefühlen irgendwelcher schwarzer Kinder zensiert werden.“ Unser Sohn kommt dazu. „Hey Ryan“, sage ich. „Du bist wegen Rassismus in Kinderbüchern voll Mamas Meinung, oder? Du willst keine rassistischen Kinderbücher vorgelesen bekommen. Oder?“

Ryan nickt. „Ja“, sagt er zu Jürgen. „Lies mir bitte keine rassistischen Bücher vor, oder wenn es sein muss, kannst du das Wort umändern. So macht Mama das, wenn sie mir vorliest. Sie sagt immer statt ‚gypsy‘ ‚Roma and Sinti‘ oder statt ‚redskins‘ ‚Native Americans‘.“

Ich: „Siehste!“

Der Ex schüttelt den Kopf: „Du hast unser Kind voll brainwashed, irgendwie“, sagt er. Er dreht sich zu Ryan um. „Es geht nicht um Rassismus! Es geht nur um das Wort ‚Neger‘. Als diese Bücher geschrieben wurden, war das kein rassistisches Wort.“

Egal wie oft ich über dieses Thema streite, an dieser Stelle rege ich mich immer neu auf. Es ist so unlogisch, und die Deutschen sollen doch ein so logisch denkendes Volk sein. Das Wort ‚Neger‘ war damals deswegen nicht rassistisch, weil wir damals keinen Respekt vor schwarzen Leuten hatten. Bei wem hätten sie sich beschweren können? Sie waren noch dankbar, dass sie keine Sklaven mehr waren.

„Aber es ist rassistisch geworden“, sage ich. „Jetzt ist es ein Schimpfwort. Wenn Ryan das in der Schule sagen würde, würde er richtig bestraft! Das ist so schlimm wie ‚Fotze‘ – das würde auch in keinem Kinderbuch vorkommen.“ Ryan guckt mich mit großen Augen an. „Was heißt ‚Fotze‘?“, fragt er.

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

Mittwoch Matthias Lohre Konservativ Donnerstag Margarete Stokowski Luft und Liebe Freitag Jürn Kruse Fernsehen Montag Barbara Dribbusch Später Dienstag Deniz Yücel Besser

Fuck! Jetzt habe ich meinem achtjährigen Sohn das Wort „Fotze“ beigebracht, nur weil ich meinen Ex nerven wollte. „Muschi“, antworte ich. „Aber das darfst du nie sagen – das ist so schlimm wie das N-Wort auf Englisch.“

Mein Ex sagt: „Ich werde ihm ‚Huckleberry Finn‘ vorlesen.“

„Gut“, sage ich.

„Auf Englisch!“, fügt er auftrumpfend hin zu. Ich lächele zufrieden. Ich weiß, dass er das tut, um mich zu nerven, aber ich finde das eigentlich okay. Erstens empfinde ich Schadenfreude, weil das Buch auf Englisch so schwierig ist, und er mit der Sprache kämpfen wird. Und zweitens ist das Buch antirassistisch und erklärt – anders als ‚Die Kleine Hexe‘ – den Rassismus. Kann er doch machen. Das wird das deutsche Kulturgut auch nicht retten.