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Archiv-Artikel

Moderne Alchemie

KRACH Demdike Stare bedienen sich ausschließlich beim Obskuren und Verfemten. Am Wochenende spielte das Duo im Berghain

Schallplattensammlermusik, das kann auch ein Schimpfwort sein. Man denkt an Bands, die sich von Soul „informiert“ zeigen, exakt die Bassläufe erarbeiten, wie man sie von Jazzrockplatten aus den Siebzigern kennt, und nebenbei noch einen Reggae-Vibe erzeugen. Einfach, weil man es kann und die technischen Möglichkeiten dazu hat. Meist entsteht so postmoderne Langeweile, gute, perfekt gemachte Musik, die man im nächsten Moment schon wieder vergessen hat.

Demdike Stare aus Manchester sind ein Duo, das sich an der etwas anderen Schallplattensammlermusik versucht. Auch die beiden graben tief in den Archiven der Musikgeschichte, doch das Offensichtliche lassen sie einfach links liegen und bedienen sich ausschließlich beim Obskuren, Verfemten, Seltsamen und Kuriosen. Bestens ins Bild passt dazu, dass einer der beiden, Sean Canty, bei Finders Keepers arbeitet, dem führenden Label für Ausgrabungen verschollener Perlen des Bizarren, etwa für pakistanischen Pop der Sechziger und immer wieder für Soundtracks längst vergessener Horrorfilme.

Jungle, Dubstep, Industrial und Library-Music haben Demdike Stare bereits auf einem Strauß von Platten zusammengelötet, immer wieder mit überraschenden Ergebnissen. Mal entsteht so Musik zum Tanzen, mal reiner Krach, man ist zu vielseitig interessiert, um sich auf irgendetwas festzulegen. Dazu kommt ein Hang zu Magie, Hexenkult und Horror-B-Movies, der sich wie ein roter Faden durch ihre Arbeit zieht, was verdeutlicht, dass sich Demdike Stare als moderne Alchemisten verstehen.

Das Duo wurde nun am Wochenende ins Berghain geladen, um dem Bewunderer von Demdike Stare die Möglichkeit zu geben, ein wenig tiefer in deren abseitigen Kosmos einzutauchen. Demdike Stare präsentierten sich mit einem Liveset, durften dazu aber auch noch ein paar von ihnen verehrte Acts einladen, Wegbereiter und Weggefährten, wenn man so will.

Vor ihnen trat so beispielsweise Prurient auf, auch so einer, der sich musikalisch nicht einzuschränken weiß und mal Industrial, mal Pop und mal Techno produziert, gern aber auch all das Genannte ineinanderfließen lässt. Interessant war auch DJ Randall, der im Anschluss an Demdike Stare auflegte. Randall ist ein klassischer Drum&Bass-DJ, der in den Neunzigern mal eine große Nummer war. Im Berghain spielte er klassischen Drum&Bass, einen harten und kompromisslosen Sound, den man auch bei den Produktionen von Demdike Stare heraushören kann, wenngleich er bei dieser Band eher geisterhaft umherspukt und nurmehr schwer zu fassen ist.

Demdike Stare selbst machten bei ihrem Liveset klar, dass sie sich bewusst waren, wo sie spielten, nämlich in einem Club und nachts um drei Uhr. Ihr Sound klang dunkel und gespenstisch wie gehabt, unter all die düsteren Klangwolken wurde aber immer ein clubtauglicher Beat gelegt, sodass getanzt werden konnte.

Auf einer Leinwand flackerten Ausschnitte aus diesen obskuren Horrorfilmen mit lesbischen Vampiren und kruden Handlungen, wie sie von Demdike Stare so geliebt werden.

ANDREAS HARTMANN