Wenn schöne Frauen nicht genug sind

KINO „La grande bellezza“ von Paolo Sorrentino erzählt episodisch locker vom Leben eines alternden Partylöwen in Rom

Obwohl es scheint, als habe er es im Leben weit gebracht, steht ein Moment des Verfehlten im Raum

Ein italienischer Film, der „die große Schönheit“ zum Titel und einen alternden Mann zur Hauptperson hat – da drängen sich augenblicklich gewisse Bilder und die Worte „Bunga Bunga“ beziehungsweise Berlusconi-Italien auf. Das aber ist im Fall von Paolo Sorrentinos Film die falsche Fährte. In „La grande bellezza“ geht es einmal nicht darum, wie der cremige Busen einer jungen Frau das Leben eines alten Mannes revitalisiert. Die „große Schönheit“, die der alternde Journalist mit Namen „Jep“ Gambardella (Toni Servillo) sein Leben lang vergebens gesucht haben will, hat nichts mit solch vordergründiger Erotik zu tun. Im Gegenteil, „in meinem Alter“, so hört man ihn an einer Stelle sagen, „sind schöne Frauen allein nicht mehr genug“. Es ist das Eingeständnis einer Komplikation, nicht von Abgebrühtheit.

Die römische Partyszene

Denn Jep ist eine melancholische Gestalt. Mit seinen hellen Anzügen, seinen schütteren grauen Haaren und seinem grauen Gesicht, das seltsamerweise kleiner wird, wenn er lächelt, zieht er den Blick nicht gerade auf sich. Die Art und Weise, in der zu Beginn sein 65. Geburtstag gefeiert wird, weist ihn dennoch als wichtiges Mitglied der römischen Feierelite aus. Eine Menschenmenge drängt sich da zu Discorhythmen in seiner prächtigen Dachterrassenwohnung. Doch obwohl alles so aussieht, als habe er es im Leben weit gebracht, steht ein Moment des Unerfüllten und Verfehlten im Raum. Die Partygäste, fast ohne Ausnahme etwas ältere Semester und dementsprechend reizbar, sprechen in dieser Hinsicht für sich. Nicht nur Jep ging über dem vielen Feiern das eigentliche Lebensziel verloren.

Dass es in „La grande bellezza“ um große Fragen geht, daran lässt Regisseur Paolo Sorrentino von den ersten Bildern an keinen Zweifel. Da gibt es pittoreske Aufnahmen von Nonnen und Priestern in den Gärten des Vatikans. An anderer Stelle fällt ein Tourist beim Besichtigen tot um. Dazu fährt die Kamera wie eine Schicksalsmacht durch die Stadt, steigt hinauf über die alten Gemäuer und wieder hinab ins Straßengewimmel. Wie wird man des Sinns des Lebens habhaft an einem Ort wie Rom, einer Stadt der Blender und blendenden Schönheit?

Eine lose Kette von Episoden gibt Einblick in die Lebensgeschichte und -lage von Jep. Vor über vierzig Jahren nach Rom gekommen, erregte er damals mit seinem Debütroman großes Aufsehen. Doch ein zweites Buch hat er nie geschrieben. Stattdessen hat er sich der Geschäftigkeit des Alltags ergeben: „In Rom ist immer etwas los, aber es passiert nichts.“ Als Journalist beobachtet er die anderen Kreativen und ihre Zirkel: eine Performance-Künstlerin, die mit dem Kopf an die Wand rennt, ein kleines Mädchen, das mit Farben um sich wirft.

Allmählich wird deutlich, dass es sich bei Jep um eine modernisierte und ältere Version von Marcello Mastroiannis Reporter aus „La dolce vita“ handelt. Statt Anita Ekberg im Trevibrunnen begegnet Jep Fanny Ardant auf der Straße – ein kleiner, wahrhaft magischer Moment. Wie Marcello ist Jep ein wehmütig Suchender, doch anders als Marcello hat Jep sein Leben bereits gelebt und steht den Dingen deshalb mit einer gewissen Demut gegenüber. An einem Abend mit Freunden auf der Terrasse entlarvt er eine alte Bekannte als Heuchlerin, doch er tut es ganz ohne Ärger und endet mit einem Plädoyer für Nachsicht, denn auf Letzteres seien sie letztlich alle angewiesen.

Die Haltung des Regisseurs ist dabei eine andere: Sorrentino liebt es, die Dinge vorzuführen – Schönes und Hässliches mit gleichem Aplomb. Manche seiner Szenen sind genialische Miniaturen wie die Aufnahme einer Botox-Party, die er als Gottesdienst zeigt, in dem der Faltenlosigkeit gehuldigt wird. Obszönes mischt sich mit Heiligem: der „Doktor“ möchte als „Schatz“ angesprochen werden und reumütig zurückgekehrte Abtrünnige lässt er doppelt bezahlen.

Vom alten Adel, der im Keller seines Palazzos hausen muss, über den Priester, der nur über Kochrezepte schwafelt, bis hin zum Besuch einer alten Nonne, die nur Wurzeln isst – „La grande bellezza“ ist ein Film voller rätselhafter, skurriler und rührender Momente, die sich nie zu einer ermüdenden Botschaft addieren. Und dann gibt es da noch eine der zartesten Bettszenen überhaupt, in der sich die Liebenden im Morgenlicht eingestehen, wie schön es war, miteinander geschlafen zu haben – ohne miteinander geschlafen zu haben. BARBARA SCHWEIZERHOF

■ La grande bellezza“. Regie: Paolo Sorrentino. Mit Toni Servillo, Sabrina Ferilli u. a. I/F, 142 Min.