: Der Papst in Brasilien: Jubel und Proteste
BRASILIEN Franziskus nimmt am Weltjugendtag teil, inszeniert sich wiederum als Papst der Armen – und will vor allem den Niedergang der katholischen Kirche in Brasilien aufhalten. Am Rande des Jubels kam es zu Protesten und Polizeigewalt gegen Demonstranten
AUS RIO DE JANEIRO ANDREAS BEHN
Viel Jubel und einen herzlichen Empfang gab es für Papst Franziskus, als er am Montagnachmittag in Rio de Janeiro landete. Doch seine Mission ist schwierig, fast übermenschlich: Der Argentinier soll die katholische Kirche in Lateinamerika wieder attraktiv machen.
Er soll den stetigen Schwund der Gläubigen stoppen, die in Scharen zur Konkurrenz überlaufen, vor allem zu den evangelikalen Pfingstkirchen. Zwar ist Brasilien immer noch das Land mit den meisten Katholiken weltweit, doch ihr Anteil an der Bevölkerung geht bedrohlich auf die 50-Prozent-Marke zu.
Kaum in Rio angekommen, bereitete Franziskus seinen Leibwächtern nichts als Scherereien. Auf dem kurzen Weg zur Kathedrale verfuhr sich sein Konvoi und wurde im Stau von aufgeregten Gläubigen umringt. Statt die Fensterscheiben seines Kleinwagens hochzukurbeln, flirtete er mit den Fans und ließ sich sogar ein Baby reichen, um es zu küssen.
Dann stieg er in ein offenes Papamobil um, das gepanzerte hat er in Rom gelassen. Sichtlich genoss Franziskus das Bad in der Menge. Den Hunderttausenden am Straßenrand gefiel es auch, die Stimmung war ausgelassen, sogar die dominierenden Fahnen Brasiliens und Argentiniens flatterten friedlich nebeneinander. „Es ging viel zu schnell vorbei“, klagte ein Pilger.
Sieben Tage wird der Papst in Brasilien bleiben. Anlass der Reise ist der Weltjugendtag, der am Dienstagabend beginnt. Bis zu zwei Millionen Menschen werden zu den Messen und Veranstaltungen erwartet. Der 76-jährige Ehrengast hat sich ein Marathonprogramm vorgenommen: Er wird Favelas und Krankenhäuser besuchen, mit Politikern und Geistlichen konferieren und vor allem mit Jugendgruppen zusammentreffen.
Einziger Termin außerhalb Rios ist das Heiligtum Aparecida im Bundesstaat São Paulo, der wichtigste Wallfahrtsort Brasiliens. Zurück in Rio de Janeiro, wird der oberste Katholik im Rahmen des Weltjugendtags am Strand von Copacabana einer pompösen Kreuzweg-Inszenierung beiwohnen. Am anderen Ende der Stadt wird er danach am weltweit größten Katholikentreffen teilnehmen und die Abschlusspredigt halten.
Nach dem rauschenden Empfang auf den Straßen ging es zum Gouverneurspalast, wo schon 600 Würdenträger auf ihn warteten, vor allem Präsidentin Dilma Rousseff, neben der der Papst etwas schüchtern wirkte.
Zur gleichen Zeit versammelten sich Hunderte Demonstranten auf einem Platz im gleichen Stadtteil. Soziale Bewegungen, LGBT-Gruppen und der brasilianische Ableger von Anonymous hatten zum Protest aufgerufen, nicht unbedingt gegen den Papst, aber gegen die hohen Kosten seines Besuchs, gegen Polizeigewalt und gegen den Gouverneur. „Ich küsse Männer, ich küsse Frauen, ich küsse, wen ich will,“ skandierten die Demonstranten, lange Protestküsse gegen die herrschende Moral wurden bejubelt. Ein Transparent machte deutlich: „Es geht nicht um Religion, es geht um unsere Rechte.“ Am Ende kam es zu Auseinandersetzungen, die Polizei setzte wie gewohnt Tränengas und Gummigeschosse ein.
An diesem Tag hat Franziskus Boden gutgemacht, seine Kirche brachte ähnlich viel Menschen auf die Straße wie die Protestbewegung im vergangenen Monat. Doch darum geht es ihm nicht. Das Problem ist, dass auch in Lateinamerika, wo vier von zehn Menschen katholisch sind, immer mehr Gläubige der Kirche den Rücken kehren.
65 Prozent der Brasilianer bekannten sich im letzten Zensus von 2010 zum katholischen Glauben, doch zehn Jahre zuvor waren es noch 74 Prozent. Der Rückgang liegt vor allem an den unzähligen evangelikalen Kirchen und Sekten, die insbesondere in den Armenvierteln enormen Zulauf haben. Jeder fünfte Brasilianer geht mittlerweile in protestantische Kirchen, deren Gottesdienste mit viel Musik und populären Predigten die Menschen mehr anziehen als die konservativen katholischen Riten. Zudem wird geschätzt, dass gerade mal jeder zehnte Katholik in einer Gemeinde auch aktiv ist.
Eine Umfrage von vergangener Woche beziffert die Zahl der Katholiken im größten Land Lateinamerikas mit nur noch 57 Prozent. Brasilien wird weltlicher, der wirtschaftliche Aufschwung der letzten 15 Jahre und das Internet haben auch das wertkonservative Landesinnere verändert. Franziskus mag nett sein. Ob das aber genügt, die Brasilianer zurückzugewinnen, ist mehr als fraglich.