: Im Nebel verschollen
Man hat schon nackt darin getanzt und ihn seelenruhig abbrennen sehen. Dabei sollte Gotthard Graupners „Nebelraum“ lehren, auf die eigenen Empfindungen zu hören. Ab heute in der Weserburg
Bremen taz ■ Der Dunst steigt in Nase und Lungen. Das Erste, was man in Gotthard Graupners Nebelraum erlebt, ist ein Hustenanfall. „Keine Panik“, beschwichtigt Weserburg-Chef Carsten Ahrens. „Das ist nur ein psychologischer Effekt. Medizinisch gibt es keinen Grund zum Husten.“ Man versucht, ihm zu glauben, und tastet sich vorwärts.
Nach wenigen Schritten ist an Orientierung nicht mehr zu denken. Da ist nur Nebel, der alle Geräusche erstickt, alles verschluckt, was weiter als eine Armlänge entfernt ist. Einsamkeit. Beruhigend und beunruhigend. Man braucht nur weiter zu gehen, dann hat einen die Wirklichkeit wieder: Eine Wand, eine menschliche Silhouette. Sobald man sich entfernt, ist es, als wäre sie nie da gewesen.
An diesem Tag zeichnet sich im Nebel eine bärtige Gestalt ab. Sie trägt Hut, Khakianzug und kalten Zigarrenstummel. Ernest Hemingway? Indiana Jones? Nein, diese Selbstinszenierung gehört offenbar zur Marke „Gotthard Graubner“. „Man muss gar nicht so viel reden“, findet der Künstler. Er tritt gerne hinter den Zitaten anderer zurück. Einer seiner Lieblingssätze stammt von Leonardo da Vinci: „Jede unserer Erkenntnisse beginnt bei den Empfindungen.“ Auf seine Empfindungen soll der Besucher im Nebelraum zurückgeworfen werden.
Was passiert, wenn man die Sinne auf Leerlauf schaltet, haben die Folterstrategen der Geheimdienste und die Gurus der Wellnessbewegung erforscht. Graupner interessiert das nicht. Ihm geht es darum, eine Haltung zur Kunst einzuüben. Wo man sonst vor dem Bild stehen bleiben muss, kann man hier hineinsteigen.
„Hommage a Caspar David Friedrich“ nennt Graupner seine Arbeit in Erinnerung an den legendären „Wanderer über dem Nebelmeer“, der über Berggipfeln und Nebelschwaden die Erde aus dem Blick verliert.
In den wilden Sechzigern ist die Arbeit gerne als Kunst-Schocker missverstanden worden. Braunschweiger Kunststudenten stellten einen Hirsch in ihre Mitte und tanzten nackt darum, weiß Ahrens. Auch eine Anekdote vom Typ „Ordnungspersonal gegen moderne Kunst“ rankt sich um den Raum. Hier allerdings wurde er nicht Opfer des Putzfimmels, sondern allzu großer Toleranz. Als die Nebelmaschine in Edinburgh bei einem Kurzschluss in Flammen aufging, hielt der zuständige Feuerwehrmann seine Kollegen vom Eingreifen ab. Er glaubte, das Feuer sein ein Happening.
Nach über 30 Jahren ist der Nebelraum in der Weserburg erstmals wieder zu sehen, gemeinsam mit den Aquarellen und „Farbraumkörpern“, die zuvor schon auf China-Tournee für Furore sorgten. Jetzt sollen sie die Erfahrung widerlegen, dass Weserburg-Ausstellungen überall mehr geschätzt werden als in Bremen, wünscht sich Ahrens.
Wer benommen aus dem Nebelraum taumelt, ist vorbereitet für Graupners „Farbraumkörper“. Die riesigen, monochromen, matratzenartig unterfütterten Leinwände sind die Fortsetzung des Orientierungsverlustes mit anderen Mitteln. Der Blick driftet suchend herum in den Strukturen des Pinselstrichs. Im wirbelnden Lila, im aufplatzenden Kardinalsrot, im sprühenden Orange verliert man die Richtung und fokussiert ins Unendliche. Annedore Beelte
Eröffnung am heutigen Samstag, 18 Uhr. Zu sehen bis 25. Juni