: Punk is Dad
Es ist alles wie früher. Die Ohrbooten spielen schön schunkeligen Reggae mit den Mitteln der Straßenmusik, verirren sich mal ins Balkanische oder gar in den Club, finden viele Namen für die weibliche Hälfte der Menschheit, THC-Schwaden ziehen durch Musik und Texte, und selbst das Berlinerische, dass sich die Band so lange verkniffen hatte, feiert seine Wiederkehr. Und doch, die Zeiten haben sich verändert, „Alles für alle bis alles alle ist“ wirkt seltsam antiquiert.
Das beginnt schon mit dem Eröffnungssong „Urwald“, in dem Sänger Ben Pavlidis fantasiert, wie aus der Großstadt ein echter Dschungel werden kann. Das ist natürlich nicht als politisches Programm gemeint, aber selbst als Traum wirkt so viel Zurück-zur-Natur doch arg naiv. Ansonsten spazieren die Ohrbooten bei „36 Grad“ in Flipflops durch die Stadt, freuen sich in „Blau“ über einen verkaterten Kopf und in „Wackelkontakt“ über die nächste Party, rauchen auch mal mehr als nur „Zwei Joints“, frönen im Titelsong einem reuelosen Hedonismus („Keiner muss zur Arbeit geh’n, mein ganzer Kiez brüllt HurraHurra, das ist das Paradies“), und selbst wenn sich das Trio in „Punk is Dad“ halbwegs differenziert der Gentrifizierung von Kreuzberg widmet, klingt das doch immer vor allem wie: Früher war alles schöner und besser und die Spätis hatten auch noch länger offen. Das Problem ist wohl: Dieses Berlin, aus dem die Ohrbooten stammen, das AAS-Berlin (Arm-Aber-Sexy-Berlin), das ist auf dem Rückzug. Und die Ohrbooten klingen nun zwar noch sehr trotzig, aber bisweilen eben auch etwas beleidigt.
Das kann man von Lord Mouse and The Kalypso Katz nun echt nicht behaupten. Die 17-köpfige Kapelle blickt mit „Go Calypsonian“ musikalisch ebenfalls in die Karibik, allerdings nicht nach Jamaika, sondern nach Trinidad. Der von dort stammende Calypso hat zwar keine solche internationale Karriere vorzuweisen wie der Reggae. Aber so leidenschaftlich wie die Band, deren Mitglieder aus sieben verschiedenen Ländern stammen, auf ihrem zweiten Album diesen gemeingefährlich tanzbaren Sound nachstellt, kann der Durchbruch nicht mehr lange auf sich warten lassen. Vor allem auch, weil es Lord Mouse und seinen Mitstreitern gelingt, manchmal sogar die Brücke von der Karibik nach Osteuropa zu schlagen, ohne dass man das Gefühl bekommt, einem allzu üblen Kulturclash beizuwohnen. THOMAS WINKLER
■ Ohrbooten: „Alles für alle bis alles alle ist“ (BMG Rights/Rouigh Trade), live am 26. 7. beim Greenville Festival in Paaren im Glien ■ Lord Mouse and the Kalypso Katz: „Go Calypsonian“ (Piranha/Alive)