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Archiv-Artikel

Abu Ghraib geht immer weiter

In einem neuen Bericht wirft amnesty international den Koalitionstruppen im Irak und der irakischen Regierung Willkür und Grausamkeit im Umgang mit Gefangenen vor

BERLIN taz ■ Willkürliche Verhaftungen von zehntausenden von Menschen, Folter und Misshandlungen bis hin zum Tod und monate- bis jahrelange Inhaftierungen ohne Anklage: das wirft die Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) den US-geführten Multinationalen Streitkräften im Irak und den irakischen Behörden in einem neuen Bericht vor, der gestern in London vorgestellt wurde.

Der Bericht mit dem Titel „Jenseits von Abu Ghraib: Haft und Folter im Irak“ listet eine Fülle von Beispielen auf, wie die Menschenrechte von Gefangenen auch nach Bekanntwerden der Folterbilder aus dem Abu-Ghraib-Gefängnis missachtet werden. Insbesondere den irakischen Behörden wirft ai einen grausamen und unmenschlichen Umgang mit Gefangenen vor. Immer wieder berichteten Gefangene über Folter mit Elektroschockgeräten, Schläge mit Elektrokabeln, Verbrennungen mit Zigaretten, besonders schmerzhaftes Aufhängen an gefesselten Gliedmaßen. In mehreren Fällen seien nach Angaben ehemaliger Gefangener US-Soldaten anwesend gewesen.

Zwar hätten die USA versichert, nach Bekanntwerden der Abu-Ghraib-Bilder die Haftbedingungen einer gründlichen Veränderung unterzogen zu haben. Dennoch fehlten vor allem bei der Überstellung Gefangener an irakische Behörden seit der offiziellen Machtübergabe an die irakische Regierung im Sommer 2004 fast jegliche Garantien und Überprüfungsmechanismen für einen korrekten Umgang mit Gefangenen. Zudem seien in jenen Fällen, in denen US- oder britische Soldaten wegen Misshandlungen verurteilt wurden, die Strafen lächerlich gering ausgefallen. Ai verurteilt die Taten als Kriegsverbrechen und fordert die Regierungen der beteiligten Länder dringend auf, sicherzustellen, dass die Täter ungeachtet ihres militärischen Rangs angemessen bestraft werden.

Weiterhin kritisiert ai die Regeln für Grund und Dauer von Verhaftungen durch die US-geführten Koalitionstruppen. Diese Regeln entsprächen nicht internationalen Menschenrechtsstandards. Insbesondere das Recht auf anwaltlichen Beistand und gerichtliche Haftüberprüfung sei nicht gewährleistet. Ai listet exemplarisch eine Vielzahl von Fällen auf, in denen Menschen oft monatelang festgehalten wurden, ohne dass ihnen ein Kontakt zur Außenwelt gestattet wurde, eine Anklage erhoben oder ihnen anwaltliche Vertretung gestattet wurde.

„Unter Verletzung humanitären Völkerrechts wurden zehntausende von Häftlingen wochen- oder monatelang festgehalten, tausende für mehr als ein Jahr, ohne dass sie angeklagt oder verurteilt worden wären und ohne jedes Recht, die Rechtmäßigkeit ihrer Verhaftung vor Gericht überprüfen zu lassen“, schreibt ai. Ende November 2005 saßen nach Angaben der Koalitionstruppen rund 14.000 Häftlinge im Irak ein.

Insbesondere die Zukunft jener Gefangenen, die aus „Sicherheitsgründen“ eingesperrt würden, sei völlig unklar. Einige von ihnen befänden sich in unbefristeter Haft, obwohl ihnen niemals die Beteiligung an terroristischen Anschlägen oder Planungen dazu nachgewiesen wurde.

In einer Reihe von „Empfehlungen“ fordert die Organisation, die irakische Regierung und die Regierungen der Koalitionstruppen müssten öffentlich jegliche Form von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder demütigender Behandlung oder Bestrafung verurteilen und allen Mitgliedern der Polizei, der Streitkräfte und des Gefängnispersonals klar machen, dass solch ein Verhalten niemals toleriert würde. Alle entsprechenden Anschuldigungen müssten umgehend von unabhängiger Seite überprüft, die Ergebnisse öffentlich gemacht werden. Offiziere, die der Folter verdächtigt werden, sollten für die Zeit der Untersuchung vom Dienst suspendiert und die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden. Folteropfer müssten entschädigt werden. BERND PICKERT