: Die Vor-Geschichte
THEATER AM O-PLATZ Mit den Asyl-Monologen erzählen Flüchtlinge, wie sie nach Deutschland gekommen sind. Das interessiert zunächst aber nur Betroffene und einige Unterstützer
VON JURI STERNBURG
Viel wurde bereits geschrieben über das Refugee Camp auf dem Oranienplatz. Vielleicht zu viel, beziehungsweise zu viel Unwahres und Irrelevantes. Dementsprechend fällt es an diesem schwülen Samstagabend schwer, unvoreingenommen den Platz zu betreten, um sich die Vorstellung der „Asyl-Monologe“ anzuschauen – man sieht all die Geschichten quasi über den Köpfen der Menschen schweben, manchen stehen sie auch ins Gesicht geschrieben.
Insofern gibt es vielleicht keinen besseren Ort in der Stadt, um die dokumentarischen Texte zu präsentieren. Stunden-, teilweise tagelang haben Michael Ruf, der Autor, und die Mitglieder des Theaterkollektivs „Bühne für Menschenrechte“ Flüchtlinge und Verfolgte interviewt und daraus die Monologe erstellt, immer sinn-, meist auch wortgetreu. Die Texte erzählen unter anderem von Ali aus Togo, von Freunden „Präsident“ genannt, Felleke aus Äthiopien, der erst willensstark Abschiebeversuche verhindern muss, um dann einen Menschenrechtspreis zu bekommen, und Safiye, die nach Jahren der Haft in der Türkei und einer abstrus klingenden Asylablehnung sich für das Lebensbejahendste überhaupt entscheidet: Sie schenkt einem Sohn und einer Tochter das Leben.
Bewohner und Unterstützer des seit Herbst 2012 existierenden Camps wollten sich mit der Vorstellung ganz direkt an die Anwohner richten, erklären, wie solche Schicksale zustande kommen, zeigen, was es bedeutet, auf der Flucht zu sein, und dass man hier nicht aus Spaß an der Freude campiert. Es gibt schließlich keinen besseren Weg, das Leid der Flüchtenden begreiflich zu machen, als sie selbst zu Wort kommen zu lassen. Deutschlandweit gab es bereits 130 Vorstellungen in über 70 verschiedenen Städten.
Angebot zum Dialog
Knapp 300 Leute stehen und sitzen nun vor der selbst gezimmerten Holzbühne, auf der die drei Schauspieler die Monologe vortragen. Der Großteil der Zuschauer sind Unterstützer, Freunde und Betroffene. Man kann nicht behaupten, dass die Anwohner in Massen erschienen sind, um endlich einmal in einen Dialog zu treten.
Vielleicht liegt das aber auch daran, dass es die sogenannte große Wut der Anwohner gar nicht gibt und viele der hier Lebenden sehr genau wissen, was es bedeutet, fremd beziehungsweise inzwischen fremd im eigenen Land zu sein. Dennoch ist die Reaktion des Camps richtig – sich öffnen statt sich abzuschotten. Eine Haltung die nach all den kolportierten Geschichten und Aktionen der letzten Wochen auch verständlich wäre.
Da ist zum Beispiel Kurt Wansner von der Kreuzberger CDU, der eine Unterschriftenaktion startete, um das Camp räumen zu lassen. „Die Listen werde ich dem Innensenator übergeben“, sagt Wansner und meint denselben Innensenator, Frank Henkel (CDU), der sich weigert, zusammen mit den Vertretern des Camps einem sogenannten runden Tisch beizuwohnen.
Oder Gunnar Schupelius, Kolumnist der B.Z., welcher beinahe wöchentlich über das Camp hetzt und immer absurdere Gründe dafür vorbringt, weshalb es geräumt werden muss. Erst vor einer Woche zitierte und bestärkte er einen Leser, welcher anführte, dass sich seine aus „Ostpreußen geflohene Oma im Grab umdrehen würde, wenn sie das mit ansehen müsste.“ Das ist natürlich ein triftiger Grund für eine sofortige Räumung.
Der Messerangriff eines Mannes auf einen der Bewohner wird von Schupelius kurzerhand komplett umgedeutet: Dieser „verteidigt“ sich plötzlich, indem er auf einen Flüchtling zurennt und ihm ein Messer in die Brust stößt. Des Weiteren wirft er ihnen vor, „Hühnchen knabbernd auf der Straße zu sitzen und im Freien zu kochen“. Insofern ist die deutlich spürbare Skepsis auf dem Gelände gegenüber der Presse nachvollziehbar.
Von den Kritikern und Feinden des Camps werden die Dealer aus dem Görlitzer Park, Berichte von sexueller Belästigung im Umfeld des Platzes und der anfallende Müll zu einem großen Eintopf verrührt und als Gründe angeführt, das Camp zu räumen, ganz so als wären legale und illegale Suchtmittel, Sexismus und Müll keine gesellschaftlichen Probleme, die sich durch alle Schichten ziehen, sondern ein spezielles Problem der Protestierenden.
Kritiker bleiben fern
Als das Stück beginnt, wird es ruhig in den Sitzreihen. Vorbeilaufende Anwohner, und Touristen bleiben stehen, hören zu. Auf einer Videoleinwand gibt es eine englische und französische Übersetzung. Nun erscheint auch langsam das Publikum, das man mit der Vorführung erreichen möchte.
Die Sonne geht langsam unter, zwischen den Monologen spielt ein Saxofonist. Es ist keine bedrückte oder betrübte Stimmung, auch wenn die Texte von unglaublichen Torturen erzählen – man freut sich, eher so zahlreich zusammen gekommen zu sein.
Von all den Menschen, die sich öffentlich negativ zum Camp geäußert haben und hier etwas hätten lernen können, hat man keinen gesehen.