: Neonazis berufen sich auf Klaus Wowereit
Bei ihrer Klage argumentiert die NPD, das Land Berlin habe den polizeilichen Notstand selbst heraufbeschworen. Bundesverfassungsgericht tendiert regelmäßig zu sehr liberalen Urteilen beim Demonstrationsrecht
Die NPD fordert von der Polizei mehr Einsatz beim Schutz ihrer Demonstrationen. Über zwei Klagen der rechtsextremen Partei wird das Berliner Verwaltungsgericht heute verhandeln. Beide Male hatten Gegendemonstranten die geplante Demonstrationsroute blockiert. Der erste Vorfall fand am 1. Mai 2004 statt, als ein NPD-Zug auf der Frankfurter Allee durch Barrikaden gestoppt wurde und die Polizei die Demonstranten daraufhin zum Umkehren zwang. Viel aufsehenerregender waren aber die Vorkommnisse ein Jahr später, am 8. Mai 2005 (siehe oben).
Welch Bedeutung solche Klagen für die NPD haben, zeigt ein drittes Verfahren, das derzeit in Brandenburg vorbereitet wird. Hier unterstützt die NPD eine Klage von freien Kameradschaften, die sich über mangelndes polizeiliches Engagement bei einer Demonstration am Soldatenfriedhof Halbe beschweren.
Auch beim Bundesverfassungsgericht sieht man die Verfahren mit großem Interesse, da dort dem Schutz der Demonstrationsfreiheit von politischen Minderheiten große Bedeutung zugemessen wird. So war es Karlsruhe in den letzten Jahren gelungen, die Verwaltungsgerichte auf eine liberale Linie einzuschwören. Rechtsextreme Demonstrationen dürfen nur noch dann verboten werden, wenn es konkrete Anzeichen gibt, dass es auf der geplanten Kundgebung zu Straftaten kommen wird. Vorfälle in der Vergangenheit oder die bloße Empörung über die Demonstrationsinhalte genügen nicht für ein Verbot.
Auch die Verhinderung von rechten Kundgebungen durch Gegendemonstranten wird in Karlsruhe äußerst kritisch gesehen. So erklärte der federführende Richter Wolfgang Hoffmann-Riem vor einigen Jahren in einem taz-Interview: „Ich finde es schlimm, dass ein Grundrecht nur noch unter Polizeischutz ausgeübt werden kann. Rechtlich gibt es zu solchen Polizeieinsätzen zwar keine Alternative, gesellschaftlich ist hier allerdings etwas aus dem Ruder gelaufen.“
So ist die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts bisher auch eindeutig: Wenn Gegendemonstranten eine zulässige Demonstration verhindern wollen, muss die Polizei gegen die Störer vorgehen. Gegendemonstranten dürfen zwar ihren Protest zum Ausdruck bringen, aber nicht die rechte Demonstration blockieren oder gar angreifen. Wenn möglich müsse die Polizei eben externe Polizeikräfte hinzuziehen, um das Demonstrationsrecht zu sichern, so Karlsruhe.
Doch auch das Verfassungsgericht hat bisher nicht erklärt, dass eine zulässige Demonstration unter allen Umständen stattfinden muss. Letztlich kommt es also immer auf die Umstände des Einzelfalles an. Wie viele Gegendemonstranten sind gekommen? Wie verhalten sich beide Seiten? Wie viele Polizisten stehen zur Verfügung? Wie lange hatte die Polizei Zeit, sich auf die Situation einzustellen? Wenn die Polizei wirklich überfordert ist, liegt ein „polizeilicher Notstand“ vor, und sie kann die rechte Demo auflösen.
Die NPD wird heute argumentieren, dass das Land Berlin den polizeilichen Notstand am 8. Mai 2005 selbst „heraufbeschworen“ oder zumindest „leichtfertig herbeigeführt“ hat, wie es in einem der taz vorliegenden Schriftsatz des NPD-Anwalts Carsten Schrank heißt. So habe der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit am Tag vor der Versammlung erklärt: „Wir sind aufgerufen, diesem Treiben ein Ende zu setzen.“ Und nach dem Abbruch der NPD-Versammlung habe sich die Polizei bei den blockierenden Gegendemonstranten „für ihre Mitarbeit“ bedankt. Immer wieder zitiert die NPD dabei die damalige Berichterstattung der taz. Ob das Verwaltungsgericht bereits heute die Urteile verkünden wird, ist noch nicht bekannt. CHRISTIAN RATH