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Archiv-Artikel

Powerfrau oder einsame Wölfin

Das deutsche Fernsehen kennt weder die Durchschnittsfamilie „Eltern mit zwei Kindern“ noch Geldsorgen – und in Krimis gibt es sogar mehr allein erziehende Väter als Mütter

BERLIN taz ■ Sie ist oft allein, am Tisch wie im Bett. Im Schnitt gebärt sie höchstens 0,48 Kind. Sie residiert im schmucken Eigenheim. Nur selten belastet sie sich mit Haushaltspflichten. Dass ihr meist der Mann fehlt, stört sie allenfalls erotisch. Die deutsche Fernsehfrau „ist entweder einsame Wölfin oder multi-tasking begabte Powerfrau“, sagt Irmela Hannover. „Die normale Kleinfamilie kommt kaum mehr vor.“

Hannover hat für das Grimme-Institut eine Studie verfasst, die im Auftrag des Familienministeriums Mütter- und Väterbilder im deutschen Fernsehen untersucht. Das Ergebnis ist ein demografischer Albtraum. Nähmen sich die Deutschen Fernsehfiguren zum Vorbild, wäre das Land bald entvölkert. Die Geburtenrate einer Krimi-Ermittlerin liegt bei 0,29. In Spielfilmen ist die Quote kaum höher.

Frau ist entweder Single oder patchworkt sich eine Ersatz-Großfamilie zusammen. Hat sie überhaupt Nachwuchs, ist er Einzelkind. Dass die realen Deutschen zur Zweikindfamilie neigen, dass das Gros der Kinder bei Vater und Mutter aufwächst – auf dem Bildschirm ist das nicht präsent. „In der ‚Lindenstraße‘ etwa gibt es seit der Trennung des Ehepaars Beimers keine einzige normale Familie mehr“, sagt Hannover. „Gerade Familien mit kleinen Kindern sind eine aussterbende Drehbuchspezies.“

So steht die große Masse der Fernseheltern ohne PartnerIn da. Gerade der allein erziehende Vater – im echten Leben eine Rarität – schafft es häufig in die Drehbücher. In Krimis etwa ermitteln mittlerweile mehr allein erziehende Väter als Mütter.

Die sozialen Probleme dieser Lebensform bleiben dabei meist ausgespart. Zu viel Alltagsnähe ist nicht gefragt. Engpässe in der Familienkasse etwa werden heute – allen Hartz-IV-Nöten zum Trotz – kaum mehr thematisiert. In den Fernsehserien der Sechziger und Siebziger war das noch anders. In einer Folge der Serie „Die Unverbesserlichen“ von 1976 etwa vermisst Inge Meysels Fernsehmutter Fleisch auf dem Teller. „Warum glaubst du wohl, gibt es am Monatsende Kartoffelsalat ohne Würstchen?“, kontert die Tochter.

Beim Thema Familie und Beruf indes wirkt die Fernsehfrau auf den ersten Blick nahezu avantgardistisch. Noch 1975 waren nur vier von zehn Bildschirm-Frauen berufstätig. Heute ist die Hausfrau fast völlig aus den Drehbüchern verbannt. Selbst Mütter haben fast immer einen Job. Allerdings werden die realen Nöte berufstätiger Eltern nur selten dargestellt. Zu wenig Krippen- oder Hortplätze sind kein Thema. Die Fernsehmutter wird von ihren Kindern nicht nennenswert gestört – nicht beim Rotweintrinken mit der Freundin, nicht beim Basteln am Berufsaufstieg. Auch Erziehungsprobleme werden abseits voyeuristischer Doku-Soaps selten thematisiert. Der normale Fernsehsprössling ist allzeit lieb, allzeit lächelnd und knallt höchstens dann und wann eine Zimmertür. Dissenzen werden bis zum Abspann durch ein tränenreiches Mutter-Kind-Gespräch geklärt. „Eine große Alltagsferne“ bescheinigt Hannover daher dem deutschen Fernsehfilm. „Die Macher nehmen ihr eigenes Mittelstands-Leben als Vorlage ermüdend gleichförmiger Plots.“

Ein Positivbeispiel weiß Hannover dann aber doch zu nennen: die ARD-Serie „Berlin, Berlin“. Als eine Darstellerin ein Kind erwartete, schrieben die Autoren das Drehbuch um. Sie ließen die jungen Eltern über die Frage streiten, wer beruflich zurückstecken musste, zeigten, wie schwer ein Miteinander von Kind und Job zu bewältigen ist. „Das war sehr lebensnah“, sagt Hannover. Sie plädiert für ein Umdenken. Dann und wann den Alltag abbilden – das hilft den Müttern diesseits des Bildschirms. COSIMA SCHMITT