: Radeln auf slechter wegdek
Durch das sumpfige Gebiet der deutsch-niederländischen Grenze führt ein neuer Radweg, die „grüne Grenze“. Dort gibt es zwar Kraniche zu sehen, aber fehlende Schilder und tiefe Schlaglöcher stören
aus dem GrenzlandSIMON LENARTZ
Das kleine, grünlackierte Quecksilberthermometer hängt schräg an der Wand des alten Bauernschuppens. Dort ist das Zentrum für Natur und Umwelterziehung Ost Achterhoek (CNME) untergebracht ist. Vier Grad über null zeigt die Säule in dem schmalen Glasröhrchen. Der Garten des Zentrums sieht ein bisschen ungepflegt und verwittert aus. Moos und Flechten wachsen auf dem Dach. Hier beginnt die Fahrradroute „de groene grens“ – „die grüne Grenze“.
Mitten durch die „Achterhoek“ in der deutsch-niederländischen Grenzregion führt der Radweg, „de groene grens“. Einer von vielen in der Radregion. Die meisten anderen Wege sind allerdings gut ausgeschildert, „de groene grens“ nicht. Mit einer kleinen Karte und einer sehr genauen Wegbeschreibung ausgerüstet, muss der Radwanderer sich seinen Weg hier selbst suchen.
Bis in das winzige Dörfchen Meddo führt dieser über roten, festgefahrenen Sand. Danach weiter über den Eibergseweg, eine asphaltierte Straße. Ab und zu warnt ein rot-weißes Verkehrsschild vor „slechte wegdek“, womit die geflickten Straßenränder gemeint sind. Links und rechts sitzen entlang der Straße Dohlen und Krähen auf den stoppeligen, abgeernteten Maisfeldern. Hinter dem Cafè Haak en Hoek beginnt das Naturgebiet der Lehmgruben Zwolle. Das Gebiet ist um 1900 entstanden, später fanden sich dort fossile Knochen in den lehmigen Schichten.
Nur ein paar Meter weiter beginnt sie: die grüne Grenze. Der Radweg, der bis in das deutsche Dörfchen Zwilbrock (Zwilbroek) führt, läuft entlang der weitgehend unsichtbaren Staatsgrenze. Früher wurde hier sehr viel durch die unzugänglichen Moore und sumpfigen Wälder geschmuggelt. Heute erkennt man nur an den Bauernhäuschen und Gehöften, wo die deutsche und wo die niederländische Seite ist. Schmal, fast geduckt liegen die niederländischen Scheunen in der Landschaft. Die spitzen Giebel sind mit dunkelgrünem Holz verkleidet. In dem selben Ton sind Fensterläden und Türen der Bauernhäuser daneben gestrichen. Nur der Rauch aus den Schornsteinen verrät, dass in der stillen, verlassenen Landschaft Menschen wohnen.
Ohnehin sind die eigentlichen Bewohner hier im Zwillbrocker Venn die Vögel. Das Naturschutzgebiet lockt jedes Jahr massenhaft Zugvögel an, die man im Frühling und Sommer von den vielen Aussichtspunkten rund um den See, der in der Mitte des morastigen Sumpfgebietes liegt, beobachten kann. Am auffälligsten sind dann die Flamingos, die regelmäßig im Naturschutzgebiet halt machen. Jetzt, während ein nass-kalter Wind pfeift, Schnattern nur einige Enten und Wildgänse, die auf dem dunklen Wasser schwimmen. Niemand steht unter den hölzernen Verschlägen der Beobachtungshäuschen und schaut mit einem Fernglas über den See. Nur eine junge Mutter zeigt ihren Zwillingen einen auffällig gefiederten Vogel. Es ist ein Eichelhäher, ein Weibchen, das sich in einer Eiche niederlässt, den Kopf zur Seite legt und dannweiterfliegt.
Die uralten knorrigen Kopfeichen hier in Zwillbrock sind hunderte von Jahren alt und stehen dicht and dicht entlang des gewundenen „Kloppendieks“ – einem Naturdenkmal – der in der Reformationszeit ein Weg war, auf dem niederländische Nonnen in die deutschen Kirchen kamen. Nun schiebt die Frau ihren Kinderwagen über den Trampelpfad zwischen den gedrungenen Bäumen. Auf beiden Seiten der grünen Grenze fährt man, folgt man der Fahrradroute des CNME, nun auf breiten asphaltierten Straßen. Wäre da nicht der ohnehin schon unauffällige Grenzstein, man würde nicht bemerken, dass es hier lange Zeit eine richtige Grenze und viele Grenzstreitigkeiten gegeben hat. 1766 steht auf dem alten verwitterten Steinblock. Darüber ein nur sehr schwer erkennbares Wappen.
Auf dem Weg zurück nach Winterswijk ist das Wappen allerdings der einzige Anhaltspunkt dafür, dass es hier so etwas wie eine Grenze gibt, oder mal gab. Eine grüne Grenze, die nicht nur wegen dem Schengener Abkommen so heißen könnte, sondern auch, weil sie sich so gut in die grüne Kulissenlandschaft einfügt, dass man sie wohl nur bemerkt, wenn man sie mit dem Fahrrad erkundet.