: Das Beispiel für alle
ENERGIE Nächste Woche entscheidet sich das Schicksal des letzten großen unabhängigen Solarmodulherstellers in Deutschland, Solarworld. Es sieht nicht gut aus
JENNY CHASE, ANALYSTIN
VON INGO ARZT
Frank Asbecks größte Angst dürfte die vor den Nichtwählern sein. Nächste Woche ist Showdown für den Chef des letzten großen Herstellers von Solarmodulen in Deutschland. Sein Unternehmen Solarworld röchelt: Die Schulden liegen mit fast 1 Milliarde Euro weit höher als der Firmenwert.
Am Montag und Dienstag werden die Gläubiger darüber entscheiden, ob sie auf 60 Prozent ihrer Forderungen verzichten. Die Alternative: wahrscheinlich Insolvenz mit wahrscheinlich höheren Verlusten. Wenn zu wenige Gläubiger kommen, kann die Versammlung keinen Beschluss fällen. Es wäre das Gleiche wie eine Ablehnung des Planes. Solarworld, 2.300 Mitarbeiter, stünde vor dem Aus.
Sollten am Mittwoch auch die Aktionäre dem Plan zustimmen, steht ein Investor vor der Tür: das staatliche Unternehmen Qatar Solar aus Katar. Allerdings würden die Anteile der bisherigen Aktionäre durch die Neuordnung stark schrumpfen.
Es geht bei alldem um mehr als ein Unternehmen. Solarworld ist ein Präzedenzfall für die Frage, ob Kapitalgeber noch an die Zukunft der Produktion von Solarmodulen in Europa glauben.
Bis zur letzten Juliwoche standen die Sterne noch gut. Die EU-Kommission wollte ab 6. August vorläufige Einfuhrzölle auf chinesische Solarmodule von im Schnitt 47 Prozent erheben. Weil die Hersteller ihre Produkte billiger verkaufen, als die Herstellung kostet – Dumping, so der Vorwurf. Die Solarworld-Produkte wären auf einen Schlag wieder wettbewerbsfähig gewesen.
Die Firmenvereinigung „EU ProSun“ mit Solarworld an der Spitze hatte das Verfahren angestoßen. Für China ging es um Solarexporte von 21 Milliarden Euro. Doch Peking ging in die Offensive und drohte mit Dumping-Verfahren gegen europäische Weine, gegen Polysilizium-Hersteller aus der Solarbranche, bald vielleicht sogar gegen Autos aus der EU.
Die gütliche Einigung Ende Juli: China darf Solarmodule von 7 Gigawatt, gut 70 bis 80 Prozent des Marktes in Europa, zu einem Mindestpreis von 56 Cent pro Watt Leistung exportieren. Erst dann werden die Zölle fällig. Das ist ziemlich genau der niedrige Preis, zu dem derzeit Module gehandelt werden.
Für Solarworld eine doppelte Niederlage. Zum einen werden durch die Einigung die Absatzchancen des Unternehmens nicht besser. Jenny Chase, Analystin beim Wirtschaftsdienst Bloomberg New Energy Finance, zählt eine Menge Firmen auf, denen sie noch eine Zukunft einräumt: Yingli oder Hanwha aus China, First Solar aus den USA; deutsche Unternehmen sind nicht dabei. Die Entscheidung der EU sei möglicherweise das Ende für die verbleibenden europäischen Hersteller, fürchtet sie.
Hersteller in China, Malaysia oder Taiwan haben schlicht neuere und größere Fabriken, sagt sie. Theoretisch sei eine moderne, große Solarfabrik in Europa absolut konkurrenzfähig. „Allerdings ist niemand so verrückt, die Milliarden zu investieren. Die Welt hat momentan schlicht zu viele Solarfabriken“, so die Analyse von Chase.
Solarworlds zweites Problem: Mit der Attacke gegen China hat sich das Unternehmen Gegner aus der eigenen Branche geschaffen. Die meisten der 265.000 Arbeitsplätze in der europäischen Photovoltaik-Industrie finden sich im Handwerk, bei Projektierern von Solarkraftwerken, bei Zulieferern für die Solarindustrie. Insgesamt 837 Firmen, darunter auch die Europa-Töchter chinesischer Firmen, haben sich deshalb zur mächtigen „Allianz für bezahlbare Solarenergie“ (Afase) zusammengetan, die gegen jegliche Zölle ist. Gegnerverband EU ProSun bringt es auf 40 Unterstützer. Einziger gemeinsamer Nenner der beiden: Schimpfen auf die EU-Kommission.
Die hat für ihre Zoll-Entscheidung 134 Unternehmen aus China und Europa unter die Lupe genommen, bei einigen in die Bücher geschaut – was nach Regeln der Welthandelsorganisation WTO EU-Kontrolleuren in Fernost erlaubt ist. Der Chef des Duisburger Solarkraftwerks-Entwickler Soventix und Afase-Sprecher in Deutschland, Thorsten Preugschas, hält die Untersuchung trotzdem für mangelhaft. „Ich habe selten gesehen, dass mit so wenig belastbaren Datengrundlagen gearbeitet wurde. Das Ergebnis ist reine Willkür“, schimpft er. Sein Kritikpunkt: Die EU-Kommission hat als Maßstab für die Dumping-Frage die Produktionskosten chinesischer Unternehmen mit denen eines einzigen indischen Unternehmens verglichen. Preugschas fürchtet nun, dass Solarmodule in Europa teurer werden.
Das allerdings hält Analystin Chase für unvermeidlich. „Alle Hersteller von Solarmodulen, egal ob in China oder Europa, haben in den letzten Jahren Geld verbrannt“, sagt sie. Die verbleibenden Hersteller müssen erst wieder Geld verdienen, bevor die Preise weiter purzeln. „ In den nächsten zwei Jahren werden Solarmodule nicht billiger werden“, vermutet Chase deshalb. Die meisten Analysten sehen dann goldene Zeiten für die Modulhersteller, auch in Europa. Sollte es bis dahin noch welche geben.