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Archiv-Artikel

„Ich will auch agieren“

BILDUNG Die Professorin Heather Cameron bringt Mädchen das Boxen bei. Am Montag wurde sie Hochschullehrerin des Jahres

Heather Cameron

■ 39, ist Juniorprofessorin für Integrationspädagogik an der FU Berlin. Die britisch-kanadische Staatsbürgerin hat das Projekt „Boxgirls“ in Berlin, Nairobi und Kapstadt gegründet. Sie nimmt am taz-Kongress teil.

INTERVIEW ANNA LEHMANN

taz: Frau Cameron, was hat Boxen mit Integrationspädagogik zu tun?

Heather Cameron: Ich habe immer versucht, meine wissenschaftliche und meine ehrenamtliche Arbeit zu verbinden. Ich will nicht nur über Jugendprojekte und sozialen Wandel theoretisieren, sondern beides praktisch umsetzen.

Ihr Projekt „Boxgirls“ soll Mädchen stärken und gleichzeitig sozialen Wandel fördern. Wie geht das?

Es ist normal, dass Jungs sich schlagen. Aber bei Mädchen sind Aggressionen verpönt. Sie richten Gewalt eher gegen sich selbst. Bei uns trainieren beispielsweise Mädchen mit Essstörungen. Sie lernen, wie sie mit ihrer Energie vernünftig umgehen. Wir stellen unser Projekt aber auch in Stiftungen und Schulen vor. Dort reden die Mädchen mit verschiedenen Leuten, sie bekommen Respekt und sehen, es ist möglich, Dinge zu verändern.

Viele der Mädchen haben einen Migrationshintergrund. Sind die Eltern damit einverstanden, dass ihre Töchter boxen?

Im Iran und in der Türkei gibt es sehr starke Frauenboxteams. Die Familien finden es in der Regel gut, dass die Töchter Kampfsport betreiben, weil sie sich damit schützen können.

Boxen Frauen anders als Männer?

Ich finde, sie sehen viel besser aus dabei.

Wer hat Sie fürs Boxen begeistert?

Das war noch in Toronto. Eine Freundin hat mich überredet, komm mit, das ist total lustig. Ich habe zuerst gesagt: Du bist verrückt, ich schreibe hier eine Doktorarbeit über Foucault und Freud. Andererseits waren gerade diese Philosophen auch Forscher und daran interessiert, Grenzerfahrungen zu verstehen. Beim Boxen geht man an die Grenzen. Kein Wunder, dass ich mich sofort in den Sport verliebte. Boxen ist ideale Ergänzung zu meiner theoretischen Arbeit.

Was ist so lustig daran, Prügel einzustecken?

Alle denken, man bekommt ständig Schläge auf den Kopf. Aber das passiert nur, wenn man nicht boxen kann. Die Atmosphäre im Ring ist faszinierend, alles beruht auf Koordination und Rhythmus.

Boxen hat so ein Image als Unterschichtensportart. Sind Sie als Professorin da nicht fehl am Platz?

Es gibt dieses Image und es stimmt zum Teil. Aber gerade unter den Frauen gibt es hochgebildete und sehr weibliche Boxerinnen. Bei uns stehen auch Pfarrerinnen und sogar eine Senatorin im Ring.

Stiehlt Ihnen das Frauenboxen nicht die Zeit zum Forschen und Publizieren? Denn nur das zählt doch in der Wissenschaftswelt.

Es gibt verschiedene Arten, Wissen zu kreieren. Eine ist, viel zu publizieren. Die andere, Dinge anzustoßen. Ich agiere lieber, anstatt nur zu publizieren. Ich bin vielleicht eine etwas andere Professorin.

Sollten sich WissenschaftlerInnen generell mehr für die Gesellschaft engagieren?

Die akademische Arbeit braucht ständig neue Impulse aus der Praxis. Es ist nicht sinnvoll, nur in der Universität zu bleiben.

Hat es Sie überrascht, zur Hochschullehrerin des Jahres gekürt zu werden?

Ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet. Ich lehre ja erst seit anderthalb Jahren an der Freien Universität in Berlin und dann gleich solch eine Auszeichnung. Ich denke, der Hochschulverband wollte ein Zeichen setzen, und ich bin stellvertretend für alle Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen geehrt worden, die sich sozial engagieren.