Wird mein Kind in dieser Gesellschaft dazugehören

AKTIVISMUS Das Kollektiv Migrantas setzt die Auseinandersetzung von Migrantinnen mit ihren Erfahrungen in Piktogramme um

„Ich will frei sein…“ und „Ich bin frei!“: auf einer Zeichnung blickt ein mit Bleistift kritzelig gezeichnetes Mädchen triste zu Boden. Auf einer anderen Zeichnung blickt die Figur selbstbewusst dem Betrachter entgegen. Gezeichnet wurden sie von Frauen, die ihre Ursprünge nicht in Deutschland haben. Ihre Arbeiten sind das Ergebnis des letzten Migrantas-Workshops in Berlin im Frühjahr.

Das Kollektiv Migrantas, dessen Gründerinnen die Grafikerin Florencia Young und die Künstlerin Marula Di Como sind, arbeitet seit 2005 in Berlin. Zuvor haben sie bereits in Buenos Aires gemeinsam Projekte konzeptualisiert und ausgeführt. Di Como bewundert die Ausdrucksstärke der reduktionistischen Darstellungsform: „Piktogramme beschreiben etwas, indem sie es auf das Wesentliche reduzieren“, beschreibt Di Como. Young ergänzt überzeugt: „Für Migrantas ist das Piktogramm mehr als ein weiblicher Körper auf einer Toilettentür. Es erzählt eine Geschichte.“

Inzwischen blicken beide auf eine zehnjährige Zusammenarbeit zurück, während der sie unter anderem in Berlin, Hamburg, Köln und Sevilla gearbeitet haben. Mit Start eines neuen Projektes kontaktieren sie lokale Frauenorganisationen und -vereine oder bieten Migrantinnen ihre Workshops in Sprachinstitutionen an. „In den Workshops haben wir alle gemeinsam, dass wir unser Land verlassen haben: egal ob als Akademikerinnen oder Flüchtlinge. Wir sind alle Migrantinnen“, sagt Young. Das Ziel von Migrantas ist es, mittels von Piktogrammen auf Plakaten an Bauzäunen, auf Bannern oder Postkarten zu visualisieren, was die in der jeweiligen Stadt lebenden Migrantinnen beschäftigt. „Auf den Piktogrammen repräsentieren sich die Frauen, die an dem Projekt teilgenommen haben. Wir versuchen die Verbindung von den Migrantinnen zum Betrachter herzustellen“, sagt Young.

Die teilnehmenden Frauen versuchen, ihre Gedanken und Gefühle in Zeichnungen auszudrücken. So sind rund 300 Zeichnungen zusammen gekommen. Es sind zum Teil Kritzeleien, einige muten an, von Kindern gezeichnet worden zu sein, aber um die Kunstfertigkeit geht es nicht. Die Zeichnungen sind direkt und ehrlich. Einige sprechen von der Angst vor der Zukunft, andere vor dem Jetzt. „Wird mein Kind in dieser Gesellschaft dazugehören?“ „Bin ich für die anderen je mehr als eine Putzfrau?“ „Wird mein Universitätsabschluss in Deutschland irgendwann anerkannt?“ Andere stellen zufrieden fest: „Ich liebe das Leben!“.

Für Di Como und Young beginnt nach Abschluss jedes Workshops eine analytische Phase. Das Team versucht, die Zeichnungen zu analysieren, indem sie schauen, welche Themen häufig auftauchen, was die Frauen am meisten beschäftigt und was die Zeichnungen mitteilen. Die Themen, die häufiger vertreten sind, werden in Piktogramme umgesetzt.

Die Frauen sind dabei, wenn ihre Zeichnungen der Öffentlichkeit präsentiert werden. Das Private ist öffentlich, scheinen alle Piktogramme auszusagen. Die minimalistische Darstellungsform ist der visualisierte Versuch, den Frauen die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu repräsentieren und ihre eigenen Stimmen, in all ihren Facetten darzustellen. PANIZ MUSAWI