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Archiv-Artikel

DVDESKMüller geht nicht weg

Heises Blick ist kühl, ohne Erbarmen – aus Gründen der Genauigkeit

Heiner Müller sitzt an einem Tisch, nicht allein, aber er monologisiert doch vor sich hin. Mit Müller-Zigarre, Müller-Hüsteln, Müller-Schweigen, Müller-Nuscheln, Müller-Brille. Es geht unter anderem um Brecht und darum, dass der rechtzeitig starb, weil er zur Zeit, die er nicht mehr erlebte, nichts zu sagen gehabt hätte. Die Bilder sind grobkörnig, schwarz-weiß, manchmal zoomt die Kamera ganz nah heran, das Gesicht Heiner Müllers in Großaufnahme. Auf einmal blickt Müller hoch, adressiert den Mann hinter der Kamera und sagt: „Und du nimmst das alles erbarmungslos auf.“ Müller-Schweigen, Müller-Zigarre, Müller-Blick, dann: „Da hast du ja ganz recht.“

Der Mann hinter der Kamera: Thomas Heise. Der Film, aus dem die beschriebene Szene stammt, heißt „Der Ausländer“ und ist ein gut halbstündiger Werkstattbericht, den man auf einer neuen Doppel-DVD mit Filmen von Heise findet. Man sieht darin Heiner Müller als Regisseur der „Lohndrücker“-Inszenierung von 1987 und man erlebt ihn als spröd-charismatischen Raconteur. Wie man Müller überhaupt immer wieder sieht und hört in den Filmen von Heise. Müller insistiert, Müller geht nicht weg, Müller war ein Schüler des Philosophen Wolfgang Heise, des Vaters des Regisseurs. Thomas Heise, der riesige Probleme hatte, in der DDR seine Filmprojekte durchzubekommen, hat viel mit Müller gearbeitet am Theater.

Und Müller hat recht. Erbarmen ist nicht der vorstechende Zug der Menschenbeobachtung von Thomas Heise. Und er hat noch einmal recht. Das ist ihre Stärke. Die Dokumentarfilme von Heise haben eine sehr seltene, sehr eigene und sehr überzeugende Kraft: Sie verstehen es zu befremden. Er dreht persönliche Filme, es geht um intime Dinge, die Liebe, das Schwinden der Liebe, das Verhältnis zur Gesellschaft und darum, wie man aus ihr fällt. Aber niemals menschelt es in den Filmen von Thomas Heise. Sein Blick ist kühl, er ist in der Tat ohne Erbarmen. Aus Gründen der Genauigkeit, ja. Es steht jedoch auch ein Pathos dahinter, das dem Müller-Pathos verwandt ist, ein Pathos, das den Menschen und seine Gegenwart, sein Sein und sein Vergehen in den Horizont welt- und naturgeschichtlicher Zeitlichkeit stellt. So wird er sich fremd.

Für „Vaterland“ (2002) sucht Heise das sachsen-anhaltische Dorf Straguth auf. Die Kamera bewegt sich zu Anfang durch eine von der Natur überwucherte Kasernenstruktur. Hier saß als Gefangener während des Kriegs Heises Vater. Aus dem Off liest Heise aus einem Briefwechsel von damals, zwischen Heises Vater und dessen Vater. Ungerührt die Stimme, ungerührt die Kamera, ungerührt die Natur. Der Film ist dann ein Porträt dieses Dorfs. Heise filmt erzählende Menschen, den Kneipenwirt, einen Vater dreier Söhne, der ins Dorf zurückkehrte, den dann seine Frau verließ. Die Kamera beobachtet einerseits kalt. Und rückt im nächsten Moment den Menschen, sich seitwärts bewegend, aus dem Zentrum; zeigt die verlassene Straße, eine Wand, eine Flugzeuglandebahn, zeigt zu anschwellender Musik Schafe. Sie stehen hinterm Zaun und sehen dich mit verständnislosem Ewigkeitsblick an.

Heises bislang wohl großartigster Film heißt „Im Glück (Neger)“ (2006). Eine Dokumentation über junge Erwachsene, mit denen Heise in Riesa, als sie noch Jugendliche waren, einmal Müllers „Anatomie Titus Fall of Rome“ erarbeitet hat. Er sucht sie wieder auf. Einer von ihnen nimmt selbst die Kamera in die Hand. Das Ergebnis ist ein verstörender, nicht zuletzt verstörend schöner Film aus Fragmenten und Splittern. Schroff steht ein langes Sozialamtsgespräch neben Bildern vorm Zugfenster ziehender Landschaft. Klassische Musik, von Heise immer kühn eingesetzt, vermittelt nicht, sondern macht Alltägliches fremd. In der letzten Sequenz gibt Heise das Bild ganz aus der Hand. Sven, der gescheitert ist, wendet sich gegen den Film, den Regisseur, stellt immer neu ansetzend, emotionslos dabei, eine Anklage in den Raum. Sie bleibt unwidersprochen. Zum Abspann wieder Musik. Lieben kann man die Filme von Thomas Heise nicht. Bewundern muss man sie schon.

EKKEHARD KNÖRER

■ Thomas Heise: „Vaterland. 3 Filme, 1 Fragment, 7 Töne“. Doppel-DVD, Revolver Edition. Beinhaltet „Vaterland“, „Im Glück (Neger)“, „Der Ausländer“, „Fragment“, „7 Töne“; für ca. 17,90 € im Handel