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Archiv-Artikel

„Die Natur übernimmt die Regie“

STÄDTISCHES GÄRTNERN Die Bremer Initiative „StiLe – Stadt is(s)t Leben?!“ arbeitet mit Permakultur und gemeinschaftlichem Gärtnern der Gentrifizierung entgegen

VON DIERCK WITTENBERG

Er ist vielleicht wirklich so etwas wie ein Paradies – jedenfalls für die, die Gärtnern mögen: „Paradieschen“ hat die Gruppe „StiLe – Stadt is(s)t Leben?!“ ihren Garten genannt. Er liegt in der Kleingartensiedlung Tannenberg im gediegenen Bremer Gete-Viertel und umfasst gut 700 Quadratmeter auf zwei vorher brach liegenden Kleingartengrundstücken. In diesem Jahr – dem zweiten für Initiative und Garten – ist vieles noch im Aufbau, auch die Gartenbaukünste der Beteiligten.

Die meisten von ihnen hatten, wie Sonja Lepper sagt, nämlich anfangs „überhaupt keine Ahnung“ vom Gärtnern. Der 27-jährigen Physikerin wollte zunächst nur eigenes Gemüse anbauen, weil sie keine Lust mehr auf Supermarkt-Ware hatte. Mittlerweile hat sie sich zu einem zweiten Studium, dem der Landschaftsökologie, entschlossen, nebenbei bildet sie sich zur Permakultur-Designerin fort.

Auch das „Paradieschen“ wird im Sinne des Permakultur-Gedankens, der auf den Australier Bill Mollison zurückgeht, bewirtschaftet. Ein nach diesen Prinzipien angelegter Garten soll sich zu einem sich selbst tragenden und nachhaltigen System entwickeln, in dem „die Natur die Regie übernimmt“, sagt Lepper.

Manchmal ist die Natur allerdings auch eigen: Kaninchen haben sich am Gemüsegarten und den Karotten im Hochbeet vergriffen. Der Salat ist mittlerweile durch Maschendraht vor ihnen geschützt.

Gärtnern im Städtischen, wie es die „StiLe“-Gruppe betreibt, wird seit einiger Zeit unter dem Namen „Urban Gardening“ diskutiert. Dabei ist es bloß ein neuer Name für eine alte Idee. Denn im Urbanen wird gegärtnert, solange es Städte gibt. Und insbesondere in ärmeren Weltregionen versorgen sich Stadtbewohner durch Landwirtschaft mit Nahrung. Selbst in Moskau und St. Petersburg sollen Studien zufolge bis 65 Prozent der Bevölkerung einen Teil ihrer Lebensmittel selbst anbauen. In Deutschland ist das Gärtnern im Städtischen vor allem eine Domäne der Kleingartenbesitzer.

In den Neunzigerjahren entdeckte die globalisierungskritische Bewegung den Gartenbau für sich: Für Aufsehen sorgten etwa jene Aktivisten, die am 1. Mai 2000 in London eine Rasenfläche des Parliament Square umgruben, um ihn zu bepflanzen. Seither werden solche Aktionen – wie auch das Legen von Samenbomben und Anbringen von Moos-Graffiti – als „Guerilla-Gardening“ bezeichnet.

In der Bremer Kleingartensiedlung Tannenberg treffen neues und altes Gärtnern im Städtischen aufeinander. Wie Susanne Lepper berichtet, ist der Kleingarten-Verein den Guerilla-Gärtnern gegenüber kulant und hat ihnen das Grundstück kostenlos gegeben. Vielleicht hofft er, so mehr junge Menschen für das Kleingärtnertum zu begeistern. Vom klassischen Schrebergarten unterscheidet sich das „Paradieschen“-Projekt vor allem dadurch, dass es ein Gemeinschaftswerk ist, das nicht nur für die Gruppenmitglieder, sondern für alle Interessenten offen sein soll.

Zudem verfolgt „StiLe“ mit ihrem Gemeinschaftsgarten Ideen, die über eine Renaissance des Kleingärtner-Wesens hinausgehen. Wie Lisa Städtler sagt, soll der Garten nicht nur ein „Ort der Ruhe innerhalb der Stadt“ sein. Die Initiative möchte mit dem Garten auch „aus dem Stadtteil heraus den Zusammenhalt stärken“ und ein Gegengewicht zur Gentrifizierung sein. Durch gemeinsame Arbeit möchten sie „ein Bewusstsein für Natur und Ernährung schaffen“.

Der Gemeinschaftsgarten ist, sagt Städtler, ihr Kernprojekt. Außerdem engagiert sich die Gruppe in einem Projekt zur Verbesserung der Ernährung an Schulen. Und im vergangenen September hat sie während des autofreien Sonntags auf einem Grünstreifen in der stark befahrenen Bremer Innenstadt ein Beet angelegt. Beim nächsten „autofreien StadTraum“ soll ein weiteres im Stadtteil Neustadt angelegt werden.