: „Wenn ich morgens aufwache, ist meine Kämpferlaune da“
DIE VOLLZEITAKTIVISTIN Taina Gärtner war Hausbesetzerin der ersten Stunde, Rebellin ist sie noch immer: Heute zeltet sie im Flüchtlingscamp am Oranienplatz, schiebt Nachtschichten für die Mietenprotestler von Kotti & Co und sitzt zudem für die Grünen im Bezirksparlament. Ein Gespräch über Freiheit, Freundschaft und Kochtöpfe als Mittel, um den Staatsschutz zu provozieren
■ Die Frau: Taina Gärtner wird 1965 als Tochter einer Lehrerin und eines Galeristen in Charlottenburg geboren. Mit 15 Jahren verlässt Gärtner ihr Elternhaus und wird Mitbesetzerin der Luckauer Straße 3 in Kreuzberg. Noch heute wohnt sie im Bezirk: in der Waldemarstraße. Die 48-Jährige ist gelernte Einzelhandelskauffrau und hat einen 24-jährigen Sohn, der zum Studium ausgezogen ist. Gärtner arbeitete etwa auf dem Bau, als Komparsin oder als Mitarbeiterin der Grünen im Abgeordnetenhaus. Aktuell ist sie Aufstockerin.
■ Die Aktivistin: Derzeit ist Taina Gärtner rund um die Uhr politisch aktiv: Sie engagiert sich auf Montagsdemos, gegen steigende Mieten oder für Schildkröten auf Borneo. Seit 2006 sitzt sie als Parteilose für die Grünen im Bezirksparlament Friedrichshain-Kreuzberg. Wann immer Zeit bleibt, geht die Hobby-Triathletin laufen, fährt Rad und geht schwimmen, Letzteres am liebsten im Prinzenbad oder im Wannsee. (ko)
INTERVIEW KONRAD LITSCHKO FOTOS LIA DARJES
taz: Frau Gärtner, gut geschlafen letzte Nacht?
Taina Gärtner: Also die letzte Nacht war wunderbar. Da habe ich fast durchgeschlafen, so fünf Stunden.
Sie übernachten schon seit sieben Wochen im Protestcamp der Flüchtlinge auf dem Kreuzberger Oranienplatz. Ganz schöner Einsatz.
Ich war anfangs in so einem kleinen Zelt, das war heftig. Da hatte ich immer den Straßenlärm und irgendwelche besoffenen Touris, die sich am besten noch zwischen den Zelten ausgepisst haben. Jetzt schlafe ich mit vielen anderen im Großzelt, und es ist, bis auf das Geschnarche, viel ruhiger.
Sie haben gleich um die Ecke eine lauschige Wohnung. Warum dieses Engagement?
Schon als die Flüchtlinge ihr Camp aufgeschlagen haben, habe ich mich immer mal in die Zelte gesetzt, ein bisschen gequatscht und gehorcht, wo gerade der Schuh drückt. Mitte Juni war diese rassistische Messerattacke auf einen Sudanesen hier. Danach haben einige Medien und Politiker populistisch versucht, einen Konflikt zwischen türkeistämmigen Mitbürgern und Afrikanern zu konstruieren. Wir von Kotti & Co haben dann überlegt, dass jemand von uns dauerhaft im Camp übernachtet. Als Statement der Unterstützung, aber auch aus Sorge um die Menschen, die dort schutzlos schlafen.
Und diese Person sind Sie.
Es haben anfangs auch andere dort übernachtet, aber im Grunde ja.
Inzwischen hat sich die Situation wieder beruhigt, aber Sie schlafen immer noch im Camp.
Das ist ja immer so: Du machst das, um ein Zeichen zu setzen. Und dann lernst du die Menschen kennen, freundest dich an. Ich habe im Camp so unheimlich tiefgreifende Gespräche geführt, sowas passiert sonst oft erst nach Jahren der Freundschaft. Ich gehöre jetzt zur Familie. Da kann ich nicht sagen: Tschüs, das war’s, ich gehe jetzt wieder.
Keine heimliche Sehnsucht nach der Badewanne oder dem eigenen Bett?
Null. Ich staune selbst über mich, wie schnell ich mich an alles gewöhnt habe. Aber ich habe ja auch noch meine Wohnung, in der ich manchmal dusche. Das Einzige, was ich wirklich ein bisschen vermisse, sind meine morgendlichen Schwimmstunden im Prinzenbad. Die kann ich gerade völlig knicken.
Zuletzt gab es Vorwürfe, im Camp herrsche ein sexistisches Klima. Wie erleben Sie das?
Das erlebe ich nicht im Geringsten. Mir wurde von Anfang an mit absolutem Respekt begegnet. Das hier eine Frau oder Passantin angemacht oder bedrängt wurde, habe ich persönlich nie erlebt. Im Gegenteil: Ich würde mir wünschen, diesen Respekt auch außerhalb des Camps zu erfahren.
Wie lange wollen Sie noch im Camp bleiben?
Solange es das Camp gibt! Von außen wird das immer so betrachtet, als hätte ich da eine irre Bürde auf mich genommen. Klar, es ist anstrengend, ich bekomme wenig Schlaf. Aber es ist auch eine so intensive, lehrreiche Zeit. Das gibt mir total viel: Diese Freundschaft und die Freude der Flüchtlinge darüber, dass jemand mit ihnen lebt und isst und sie versteht.
Was ist Ihr Eindruck, wie es den Flüchtlingen gerade geht?
Politisch fühlen sie sich völlig im Stich gelassen. Das frustriert natürlich ungemein. Viele hatten ein gutes Leben, bevor sie flüchten mussten. Und jetzt wohnen sie hier in Zelten, haben einen ganz bitteren, langen Winter hinter sich. Solange sie das Gefühl haben, das bringt was, nehmen sie das sehr gerne in Kauf. Aber zuletzt herrschte eher das Gefühl, dass eine Tarnkappe über dem Camp liegt und es niemanden mehr interessiert.
Und auf der persönlichen Ebene?
Da geht es vielen sehr schlecht. Weil sie nicht arbeiten können und ihre Familien in Afrika jetzt ohne Geld dastehen. Einer der Flüchtlinge ist gerade völlig durch den Wind, weil er unbedingt das Schulgeld für seinen kleinen Bruder zahlen muss, 300 Euro für die nächsten Monate. Bashirs Mutter muss dringend operiert werden, das kostet 2.000 Euro. Und Sunday rennt 18 Stunden am Tag durch die Stadt und sammelt Flaschen, damit er als Witwer Geld an seinen Sohn schicken kann. So hat hier jeder jemanden, den er mitversorgen muss. Das wird von außen nicht gesehen.
Ist das der Grund, warum Sie sich gerade so stark für Flüchtlinge engagieren?
Ich bin seit Jahren Mitglied bei Pro Asyl. Weil es um Grundrechte geht und um Hilfe für die Ungeschütztesten, die fast gar keine Lobby haben. Deshalb hat es mich auch so gefreut, als die Refugee-Bewegung im letzten Jahr durchgestartet und ausgerechnet in meiner Nachbarschaft auf dem Oranienplatz gelandet ist.
Sie sind auch aktiv bei den Mietenprotestlern von Kotti & Co, die am Kottbusser Tor seit 14 Monaten eine Protesthütte halten. Suchen Sie den Dauerprotest?
Vielleicht. Ich gehöre ja zu den Kreuzberger Ur-Hausbesetzerinnen, 1980 habe ich die Luckauer Straße 3 mitbesetzt. Jeder weiß, welche Freiheiten es hier damals im Schatten der Mauer gab. Und gerade habe ich das Gefühl, dass das alte Kreuzberg wieder auflebt. Mit diesen Protestcamps und den ganzen Leuten, die alle wieder aus ihren Löchern kriechen und auf Demos gehen. Selbst die türkeistämmigen Nachbarn sind jetzt dabei. Darauf habe ich 30 Jahre gewartet! Jetzt stehe ich mit Kopftuchträgerinnen hinterm Frontbanner, fäusteschwingend, und wir kämpfen für gemeinsame Ziele. Das macht mir irre Freude.
Warum passiert das gerade jetzt?
Weil jetzt die Gentrifizierung voll reinschlägt. Plötzlich hat jeder, mit dem ich spreche, ein Mietenproblem. Die Leute stehen mit dem Rücken zur Wand. Und sie wissen: Wenn man jetzt nichts macht, dann ist es hier vorbei.
War es auch das Freiheitsversprechen, das Sie damals nach Kreuzberg gezogen hat?
Ich hatte kein Geld, ich war blutjung, 15 Jahre. Da konnte man nur Häuser besetzen.
Sie wurden mit 15 Besetzerin?
Ich hatte Probleme zu Hause und bin von da weg. Dann war klar: Wenn du irgendwo schlafen und leben willst, musst du nach Kreuzberg. Da stand ja der halbe Bezirk leer. Das war damals ein riesiges Experimentierfeld.
Können Sie sich noch an Ihre erste Demo erinnern?
Das war ein Hungerstreik an der Gedächtniskirche gegen Gorleben. Ich war 14 und wollte mir das nur angucken, aber meine Mutter hatte es mir verboten. Dann bin ich heimlich hin und habe mich direkt dem Hungerstreik angeschlossen. So bin ich eben: Wenn mir jemand was verbietet, dann mache ich das erst recht.
Offenbar haben Sie sich früh für Politik interessiert. Wie kam das?
Ich habe sehr früh sehr viel gelesen, auch Erwachsenenbücher. Als Kind habe ich mich oft unglücklich und unwohl gefühlt. Ich wusste nie so richtig, woran das liegt. Es waren ja die bleiernen Siebziger, man sah überall die Fahndungsfotos der RAF. Und obwohl ich das noch nicht so richtig verstanden habe, hat mich das unheimlich geprägt. Diese Menschenjagd. Ich habe damals schon versucht, mir die Gesichter einzuprägen und gedacht: Wenn ich jemanden von denen auf Straße sehe, dann kriegt der meine Stulle. Irgendwie bin ich ein Mensch, der Sachen sieht und fühlt, die andere nicht spüren. Und soziale Gerechtigkeit ist für mich das A und O einer Gesellschaft. Ich habe einfach nicht die Fähigkeit, mir was vorzulügen und die Augen zu verschließen.
Sie sind außerparlamentarische Vollzeitaktivistin. Seit 2006 sitzen Sie allerdings auch für die Grünen im Bezirksparlament von Friedrichshain-Kreuzberg. Fehlt Ihnen der Glaube, im Parlament wirklich etwas bewirken zu können?
Ich glaube tatsächlich nicht, dass man in diesem Parlamentssystem elementare Dinge lösen kann. Aber auf Bezirksebene kann man mit viel Einsatz einige Probleme direkt angehen. Und zu dem Mandat kam ich so: Weil ich schon gegen Wohnraumprivatisierung im Kiez gekämpft habe, haben mich die Grünen gebeten, parteilos auf ihre Liste zu gehen. Ich habe erstmal abgewunken. Aber als alleinerziehende Mutter hat es mich schon auch genervt, dass außerparlamentarisch immer gleich die Revolution geplant wird, ohne zu gucken, dass sich auch im Hier und Jetzt was ändert. Nach zwei Jahren habe ich also doch zugesagt. Weil ich schon viele hier repräsentiere: kein Geld, alleinerziehend, Ureinwohnerin. Und weil ich Menschen wie meinen türkeistämmigen Nachbarn, die überhaupt nicht wählen können, einen Zugang zum Parlament geben wollte.
Und irgendwann werden Sie mal Stadträtin oder gehen ins Abgeordnetenhaus?
Auf gar keinen Fall! Ich bin nicht der Mensch, der den ganzen Tag im Büro hängt, Interviews gibt und dann nach ein paar Jahren das erste Mal eine Minute Redezeit zu Afghanistan bekommt. Ganz ehrlich: Mich interessiert auch einfach nicht, ob sich in einem Autofahrerbezirk wie Steglitz jemand über ein Schlagloch beschwert. Das geht mir völlig am Arsch vorbei. Wir haben hier im Bezirk genug existenzielle Probleme, und um die möchte ich mich kümmern.
Letztes Jahr hat Sie auch mal der Staatsschutz vorgeladen. Skandal oder Adelung?
Ich wurde als Verantwortliche herausgepickt, weil wir mit den Kopftuch-Ladies vom Kotti vor der Senatsverwaltung für Soziales mit Kochtöpfen krachgeschlagen haben. Die Frauen fühlten sich natürlich geadelt: Mensch, die halten uns ja für richtig gefährlich! Aber es ist trotzdem interessant, dass man, nur weil man mit Kochtöpfen gegen hohe Mieten protestiert, schon direkt beim Staatsschutz landet.
Was haben Sie mit all Ihrem Engagement erreicht?
Eigentlich erreiche ich ständig was. Und wenn es nur ist, dass die Menschen sich gestärkt fühlen, weil jemand da ist, der mit ihnen kämpft. Denn sobald jemand aufsteht und was tut, ist er ja kein Opfer mehr, sondern selbstbestimmt. Gerade bei den Zwangsräumungen haben wir irre viel erreicht und einiges verhindert, ohne dass das öffentlich geworden ist. Es gibt viele unsichtbare Erfolgsgeschichten, die mich jedes Mal glücklich machen.
Können Sie bei so viel Ungerechtigkeit, gegen die Sie kämpfen, wirklich glücklich sein?
Das ist das, was die Leute nicht verstehen: Ich bin glücklich, trotz der ganzen Probleme! Ganz in mir drin fühle ich mich wunderbar ausgeglichen. Weil ich weiß, dass ich gerade genau das Richtige mache. Ich war letztes Jahr schwer krank. Auch diese existenzielle Erfahrung hat mir klargemacht, dass ich meine Zeit nicht mit Kleinklein verschwenden, sondern mit den elementaren Dingen verbringen will.
Campen mit den Flüchtlingen, Schichten bei Kotti&Co, Ausschüsse in der BVV: Wie bringen Sie das alles unter einen Hut?
Gar nicht drüber nachdenken, einfach machen. Der Mensch ist stärker, als er denkt.
Klingt anstrengend.
Mir war es schon immer wichtig, morgens in den Spiegel gucken und sagen zu können: Ich habe getan, was ich konnte, um diese Welt ein bisschen besser zu machen. Klar gibt es manchmal auch den Punkt, an dem ich eine Stunde nur noch heule. Aber dann ist auch wieder gut. Wenn ich morgens aufwache, ist meine Kämpferlaune wieder da.
Und Ihr Sohn oder Ihre Freunde fordern nicht mehr Zeit ein?
Doch. Es gibt auch Freunde, die sagen, lass uns mal privat treffen, nicht bei deiner politischen Arbeit. Da muss ich sagen: Moment mal, ich lebe gerade am Oranienplatz. Wenn ihr mich zuhause besuchen wollt, müsst ihr dahin kommen. Ich bin eine Aktivistin, eine politische Kämpferin. Das lässt sich nicht trennen.
Was muss passieren, dass Sie sich zurücklehnen und einfach mal nichts machen?
Gute Frage (Pause). Also, wenn in Kreuzberg oder Berlin oder Deutschland alle Probleme erledigt wären, gäbe es ja immer noch genug andere Länder, in denen es etwas zu tun gäbe. Dann würde ich wahrscheinlich Meeresschildkröten oder Orang Utans auf Borneo retten.