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Archiv-Artikel

„Er wollte nicht, dass die Nazis ihn den Rest seines Lebens verfolgen“

ABSTRAKTE KUNST Jean Leppien habe nie über seine Kriegserfahrungen gesprochen, sondern stets nach vorn geschaut, sagt Thomas Leppien, der Neffe des 1991 verstorbenen Lüneburger Malers. Wenn einer aber seine Bilder zum Beispiel „Schießscharte“ nennt, dann lasse das natürlich Raum für Assoziationen

Von PS
Thomas Leppien

■ 80, Jurist, frankophil, wie es auch sein Onkel war, hat den Katalog zur Hamburger Ausstellung Jean Leppiens gestaltet.

taz: Herr Leppien, wie gut haben Sie Ihren Onkel gekannt?

Thomas Leppien: Sehr gut. Er war ja sogar mein Patenonkel. Da er aber seit 1933 im französischen Exil lebte, habe ich ihn 1950 kennen gelernt. Da kam er erstmals nach der Nazizeit wieder nach Deutschland, um seine Familie zu besuchen. Ich war damals 15.

Was war Jean Leppien für ein Mensch?

Ich habe ihn oft gesehen und ihn auch in Frankreich besucht, wo er mit seiner Frau wohnte. Er war ein sehr differenziert denkender, kritischer, dabei aber sehr humorvoller Mensch. Er suchte die ironische Distanz. Das gefiel mir.

Hat er je von seiner Zeit in der französischen Fremdenlegion und in deutschen Gefängnissen gesprochen?

Es fiel immer mal eine Bemerkung, aber ausführlich erzählt hat er davon nie. Auch seine Frau hat nichts über ihre Zeit im KZ Auschwitz erzählt. Ich glaube, ihrer beider Motto war: „Die Nazis haben uns Jahre geraubt, sie sollen uns nicht noch den Rest des Lebens als Schatten verfolgen.“

Wirkte er nie bedrückt?

Nein. Er war jemand, der nach vorne lebte und mit großer Neugier in die Zukunft schaute.

Aber einige seiner Bilder heißen „Schießscharte“. Das klingt nach Kriegserinnerung.

Erstens bin ich sicher, dass er die Titel nachträglich gab: Das Bild war für ihn autonom – unabhängig davon hat natürlich jeder Assoziationen, auch er selbst. Aber seine Bilder aus seinem Kriegsschicksal heraus zu deuten, widerstrebt mir, weil das den Blick auf seine Kunst verdunkelt.

Hat er befürchtet, als Künstler missverstanden zu werden?

Nein. Er war ja sehr selbstbewusst und autonom. Sicherlich gibt es Zitate in seiner Kunst, und er hat sich von der einen oder anderen Strömung beeinflussen lassen. Aber grundsätzlich wollte er seinen eigenen Weg gehen.

Abgesehen von Wassily Kandinsky, dem Übervater der abstrakten Kunst…

Ja, dessen Theorien schätzte mein Onkel sehr. Aber er sah sie durchaus kritisch. Einmal schrieb Jean Leppien: „Ich war keineswegs immer mit seinen Theorien einverstanden. Ich habe seine Lehre nicht als etwas aufgefasst, das nicht zu hinterfragen ist. Aber ich habe verstanden, was Kandinsky ‚die innere Notwendigkeit als Basis jeder künstlerischen Schöpfung‘ nannte. Und ich habe von ihm gelernt zu sehen, zu ordnen und Prioritäten zu setzen. Einen unabhängigen Weg zu gehen, wohin er auch führt.“

Was empfinden Sie, wenn Sie die Bilder Ihres Onkels sehen?

Zunächst spontane Freude, die Bilder zu sehen – oder wieder zu sehen. Abgesehen davon habe ich im Laufe der Zeit bemerkt, dass sie zwei Ebenen haben – besonders diejenigen mit den stellaren Objekten. Die können nämlich einerseits sehr dekorativ wirken: Man geht daran vorbei und denkt: „Ach, wie nett.“ Aber dann ist man wirklich an dem Bild vorbei gegangen. Denn je länger man so ein Bild sieht, desto wichtiger wird es einem. Dann spürt man erst dieses Magische und Mystische. Die ganze Raffinesse der Einfachheit durch Farbe und reduzierte Form. INTERVIEW: PS