: Zuckerbrot und Peitsche
ISRAEL Politische Differenzen im Likud sollen für widersprüchliche Politik von Ministerpräsident Netanjahu verantwortlich sein
GALIA GOLAN, POLITOLOGIN
AUS JERUSALEM ANDREAS HACKL
Kurz vor der Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit den Palästinensern sorgt Israel mit scheinbar widersprüchlichen Entscheidungen für Verwirrung: Nachdem die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Sonntag den Bau von 1.187 neuen Wohneinheiten im Westjordanland und in Ostjerusalem angekündigt hatte, veröffentlichte die israelische Gefängnisbehörde am Montag die Namen von 26 palästinensischen Gefangenen, die noch diese Woche als Geste des guten Willens im Rahmen der Friedensgespräche freigelassen werden sollen. Ihnen sollen bald 78 weitere Palästinenser folgen.
Der Großteil der 26 Häftlinge wurde schon vor den Oslo-Friedensgesprächen in den 90er Jahren verurteilt, 21 davon, weil sie israelische Soldaten und Zivilisten oder angebliche palästinensische Kollaborateure getötet hatten. Der Rest saß wegen versuchter Tötung oder Entführungen im Gefängnis. Auch Mitglieder der Volksfront zur Befreiung Palästinas, der Hamas sowie des Islamischen Dschihad sind unter den Gefangenen.
Dass nun fast gleichzeitig mit dieser vertrauensbildenden Maßnahme 1.187 neue Wohnungen in Siedlungen auf besetztem Palästinensergebiet genehmigt wurden, kritisierte Mohamed Schtajjeh vom palästinensischen Verhandlungsteam als „Sabotage der Gespräche“. Israels Minister für Bauwesen rechtfertigte dies hingegen: „Kein Land der Welt lässt sich von anderen Ländern vorschreiben, wo es bauen darf, und wo nicht.“ Die Gespräche sollen schon am Mittwoch unter US-Vermittlung in Jerusalem fortgeführt werden.
„Einen Schritt nach vorn, drei zurück“, nannte der Journalist Barak David in der israelischen Zeitung Ha’aretz die jüngsten Manöver Netanjahus. Dieser muss einerseits seine Versprechen gegenüber US-Außenminister John Kerry einhalten und seine Verhandlungsbereitschaft durch Gesten glaubwürdig unterstreichen, steht andererseits aber unter Druck seiner rechtskonservativen Regierung, dabei nicht zu weit zu gehen.
„Netanjahu trägt eine politische Schlacht mit seiner eigenen Partei aus“, sagt die israelische Politikwissenschaftlerin Galia Golan, Mitbegründerin der Friedensorganisation Peace Now. Netanjahu sei seit den letzten Wahlen immer weiter in die politische Mitte gerückt, muss sich in seiner eigenen Regierung aber mit vielen „Störenfrieden“ des Friedensprozesses auseinandersetzen: Netanjahus Mentor und Exverteidigungsminister Mosche Arens tritt wie andere im Likud für die Annektierung großer Teile des Westjordanlands ein.
Genauso Netanjahus nationalreligiöser Koalitionspartner Naftali Bennett, der früher die Verbundorganisation aller Siedlungen geleitet hat. Heute lebt einer von sechs Abgeordneten in Netanjahus Koalition in jüdischen Siedlungen auf besetztem Palästinensergebiet. Mindestens ein Drittel aller Parlamentsabgeordneten unterstützt den Siedlungsbau über einen mächtigen Ausschuss. Hinzu kommt, dass Netanjahus Kabinett Ende Juli einem Gesetzesentwurf zustimmte, der ein Friedensabkommen an ein Referendum bindet. Auch wenn die Mehrheit der israelischen Bevölkerung weiterhin die Prinzipien einer Zweistaatenlösung unterstützt, sagt Galia Golan, werde diese „moderate Mehrheit“ immer schwächer. Siedler und religiöse Zionisten hätten immer mehr Macht.
Die Erfolgschancen der laufenden Verhandlungen kommentiert Golan auch deshalb mit „vorsichtiger Skepsis“. Wie schon Ariel Scharon, könnte es Netanjahu passieren, dass er bald eine neue Partei gründen muss. „Aber würde er das wirklich tun?“, meint Golan. „Niemand weiß, was Netanjahu wirklich will.“