: Der Tag, als Pickelface zuschlug
Die Wahrheit-Woche der Leichen im Keller: Mein peinlichster Einbruch
Jawoll, ich gestehe: Ich habe ein Verbrechen begangen. Ein regelrechtes Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches. Ein einsperrungswürdiges. Ein niederträchtiges. Im Grunde nicht nur eines. Mehrere an einem Tag, damals in der kleinen Stadt M. im Süden. Einer Stadt, in der die Alten wohl heute noch rätseln, wer die ruchlose Tat begangen hat seinerzeit. Ich hoffe, ich bin mittlerweile aus dem Schneider. Wegen Verjährung.
Okay, ich war jung, ich war kurzsichtig wie ein Grottenmolch, ich hatte Schuhgröße 45. Ich war in schlechter Gesellschaft. Die schlechte Gesellschaft hieß Wulli Walcher. Ein eigentlich flüchtiger Bekannter, der lediglich zu meinem erweiterten Freundeskreis gehörte. Ein im Grunde völlig uninteressanter Mensch, aber mit zwei herausstechenden Eigenschaften versehen: Er war der Inhabersohn einer Zigarettenhandlung, und zu seinen Aufgaben zählte das Geldentnehmen aus den betriebseigenen Zigarettenautomaten. Man wird nun womöglich einwenden: „Na und?“ – und nicht verstehen, dass solche Eigenschaften in meiner Jugend, denn um diesen Zeitraum handelt es sich, von großer Attraktivität waren. Mehr oder weniger kostenloser Zugriff auf Tabakwaren und außerdem zu bestimmten Zeiten Bargeld in kleinen Münzen!
Der Tag, um den es geht, der Tag, der die kleine Stadt M. erschüttern sollte, war auf jeden Fall Automaten-leer-Tag, und Wulli Walcher war großzügig wie immer. Da er keinerlei natürliche Freunde hatte, musste er sich Gesellschaft mit den oben erwähnten Mitteln erkaufen. Wir konsumierten also Rauch- und Rauschmittel in hohen Dosen und gerieten dergestalt in eine Zentrifuge der Haltlosigkeit, die uns schließlich bis weit in den kriminellen Bereich schleuderte.
Es begann schon am späten Nachmittag mit einer ersten kleinkriminellen Handlung. In deren Verlauf wir die Feuerlöscher der nahe gelegenen Turnhalle entwendeten und, im Rahmen einer von niemandem genehmigten Löschübung, mehrere Sträucher schamponierten. Im Anschluss an das schaumige Treiben schleuderten wir die leeren Patronen per Hammerwurf von uns. Und ließen sie einfach liegen! Ich schrecke heute noch manchmal nachts auf und frage mich, wer sie wohl weggeräumt hat. Nun gut.
Dies war aber erst der Anfang dieses unseligen Tages, denn selbstverständlich sprachen wir nach dem Löschintermezzo weiterhin Gevatter Alkohol zügig zu. Es kam die Nacht, es kamen die Hallen des Technischen Überwachungsvereins. An denen wir – ich schwöre es – rein zufällig vorbeitorkelten. Es kamen die Darmturbulenzen Wulli Walchers, denen er mit den Worten: „Ich muss jetzt sofort scheißen!“, Ausdruck verlieh. Um danach seine Schritte ohne Verzug in Richtung der TÜV-Büros zu lenken. Ich ging einfach mit. Ich sah stoisch zu, wie er die große Glastüre mit einem großen Stein pulverisierte. Ich sah zu, wie er eintrat und zielstrebig nach einer Toilette fahndete, um diese hektisch aufzusuchen.
Sicher hätte ich Wulli Walcher spätestens jetzt Einhalt gebieten müssen. Ihn zur Vernunft rufen. Ich tat es nicht. Im Gegenteil: Ich fühlte mich wohl irgendwie frech und hemmungslos. Wie gesagt, ich war jung, sehr jung. Ich war ein bis unter die Schädeldecke prall gefüllter Hormonsack und hatte Pickel wie eine Warzenkröte. In diesem Zustand tut man allerlei sinnloses Zeug, in der Überzeugung, es sei typisch für einen Mann.
Irgendetwas in mir dachte wohl an Überfall, an Geldraub et cetera. Und so betrat ich mit verwegenem Gesichtsausdruck die Büroräumlichkeiten, schaltete die Festbeleuchtung an und beschloss nach Bargeld zu suchen. Ich zog ein paar Schubladen auf, wegen dort lagernder Kassetten und fand nichts. Ich rüttelte an verschlossenen Schränken, und sie öffneten sich nicht. Ich warf frech Schreibutensilien zu Boden und verstreute Formulare im Raum – schließlich war dies ein Einbruch. Auch eine Kaktuspflanze musste dran glauben. Auf die große Schultafel, die wahrscheinlich zu Demonstrationszwecken diente, schrieb ich in großen Lettern: „Scheiß-TÜV“. Heute würde ich mich über die Doppelsinnigkeit dieses Anschriebes wohl freuen, damals war es mir dann irgendwie nur langweilig und ich war froh, als Wulli Walcher von draußen rief: „Kommst du, ich bin so weit!“
Dann verließen wir, diabolisch kichernd, den TÜV einer kleinen Stadt im Süden. Zurück blieben eine zerbrochene Glastür, ein unordentlicher Büroraum und eine benutzte Toilette. Ein Bild der Verwüstung! Aus Trotz hatte ich außerdem das Licht brennen lassen. Das würde ihnen allen eine Lehre sein!
ALBERT HEFELE