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Archiv-Artikel

Schäuble strenger als EU erlaubt

Grüne und Verbände kritisieren Innenminister: Mindestalter bei Ausländernachzug, Sprachtests und eine Beweislastumkehr bei Scheinehen „integrationsfeindlich“

BERLIN taz ■ Wer in Deutschland lebt und seinen Ehepartner aus dem Ausland zu sich holen möchte, soll das in Zukunft erst dürfen, wenn beide mindestens 21 Jahre alt sind. Außerdem soll der Nachziehende schon bei der Einreise Deutschkenntnisse haben. So möchte es zumindest Innenminister Wolfgang Schäuble. Seinen entsprechenden Gesetzentwurf begründete er damit, es gehe darum, „junge Ausländer vor Zwangsehen zu schützen“. Dafür sei das geplante Gesetz jedoch untauglich, kritisierten Menschenrechts- und Migrantenverbände gestern bei einer Expertenanhörung der Grünen-Bundestagsfraktion. „Der Entwurf ist integrationsfeindlich und zum Teil verfassungswidrig“, sagte der grüne Menschenrechtspolitiker Volker Beck.

Die Regierung arbeitet derzeit an Veränderungen im Ausländer- und Asylrecht, weil elf Richtlinien der Europäischen Union umgesetzt werden müssen. In diesem Rahmen will der Innenminister auch den Nachzug für Familienangehörige neu regeln. Die Grünen werfen Schäuble vor, er wolle die EU-Richtlinien nutzen, um die Zuwanderung einzuschränken. Wo die Richtlinien eine Liberalisierung zuließen, würde das von Schäuble nicht genutzt, wo Verschärfungen möglich seien, würden diese dagegen voll ausgeschöpft und teilweise sogar noch übertroffen.

Schäuble will nach eigener Aussage nicht nur gegen Zwangsheiraten, sondern auch Scheinehen und Zwangsprostitution vorgehen. So sind in dem Gesetzentwurf neue Hürden beim Familiennachzug vorgesehen: Ehepartner unter 21 müssten eine Wartezeit absolvieren.

Dies gilt jedoch nicht, wenn es gemeinsamen Nachwuchs gibt. Dann kann der Partner oder die Partnerin laut Gesetzesentwurf ohne Wartezeit nachziehen. Der Flüchtlingsverband Pro Asyl kritisierte das als untaugliches Mittel gegen Zwangsehen: „Werden junge Menschen wirklich gegen ihren Willen verheiratet, dann kann ein solches Gesetz dazu führen, dass sie Kinder zeugen, nur um gemeinsam in Deutschland leben zu können.“ Gerade Frauen würden dadurch zusätzlich benachteiligt.

Der Verband binationaler Familien wertete den Entwurf als „vollkommen unbrauchbar“. Zwangsehen hingen eher von patriarchalischen Strukturen als vom Alter ab. Deutschen mit ausländischem Ehepartner werde nun außerdem grundsätzlich eine Scheinehe unterstellt. Bisher hätten die Behörden beweisen müssen, dass eine Scheinehe vorliege. Wenn das Gesetz durchkomme, müssten die Ehepartner künftig beweisen, dass sie keine Scheinehe führten.

Auch die geforderten Sprachkenntnisse wurden von verschiedenen Verbänden scharf kritisiert. Kenan Kolat von der Türkischen Gemeinde Berlin sagte, damit werde die Realität ignoriert. Gerade in ländlichen Gebieten gebe es oft keine Möglichkeiten Deutsch zu lernen, in manchen Dörfern gebe es gerade einmal eine Grundschule. Durch diese Forderung würden außerdem Integrationsprogramme, die in Deutschland im Rahmen des Zuwanderungsgesetzes stattfinden, untergraben. Zudem könne das erwartete hohe Niveau der Sprachtests Zuwanderung verhindern, fürchtet die Caritas. Die nimmt an, dass das gleiche Sprachniveau wie von Spätaussiedlern aus der ehemaligen Sowjetunion gefordert wird. Der Test sei eine erhebliche Hürde und würden den Zuzug aus diesen Ländern stark einschränken. Daher sei zu erwarten, dass Sprachtests auch den Nachzug von Ehepartnern massiv einschränken werden. Die Forderung nach Sprachkenntnissen sei mit den EU-Richtlinien nicht zu vereinbaren. In diesen steht, dass Integrationsmaßnahmen wie Sprachkurse erst nach einer Familienzusammenführung verlangt werden dürfen. KERSTIN SPECKNER