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Archiv-Artikel

„Soll EU-Gas aus Iran oder Libyen kommen?“

Bei einem Energieforum in Brüssel empfiehlt der Vertreter Moskaus dem Westen den Bau neuer Atomkraftwerke

BRÜSSEL taz ■ Warum Russland den Gaspreis für die Ukraine so drastisch angehoben habe, für Weißrussland aber nicht, wurde der stellvertretende russische Botschafter Konstantin Trofimow gestern bei einer Debatte in Brüssel gefragt. Die Antwort sei simpel, konterte er: „Weißrussland ist unser Verbündeter, die Ukraine nicht.“ Und auch bei der Frage, wie es der Russe auf der Straße aufnehme, dass Roman Abramowitsch, Milliardär und Eigner des Gasherstellers Sibneft, den Fußballclub Chelsea gekauft habe, blieb Trofimow gelassen: „Wir leben nun in einer Marktwirtschaft. Jeder kann das Geld, das er verdient hat, ausgeben, wie er will.“

Die Fragen zeigen, dass in Europa vielen der Gedanke unbehaglich ist, in der Energieversorgung von einem Partner abhängig zu sein, der außen- und innenpolitisch turbulente Zeiten durchmacht. „Diversifizierung und Effizienz“ lauten deshalb die Beschwörungsformeln, die sowohl von der EU-Kommission in ihrem Grünbuch als auch von den europäischen Regierungen verwendet werden.

Die Sorgen sind berechtigt. Ein Drittel der Rohöl- und Raffinerie-Importe und die Hälfte der Erdgasimporte kommt derzeit aus Russland. Die Verteilung des Risikos auf mehrere Lieferanten löse aber keineswegs alle Probleme, warnte der Londoner Russland-Experte Andrew Monaghan. „Wollen wir wirklich mehr Einfuhren aus Ländern wie Iran, Nigeria und Libyen?“

Sein Kollege Pierre Noël, Energieexperte am Institut für Internationale Beziehungen in Paris, zweifelte daran, dass ein Ausweg im sparsameren Umgang mit Energie liegen könnte. „Die Energieeffizienz nimmt ständig zu. Aber genauso schnell wächst der Öl- und Gasverbrauch.“ Deshalb müsse die EU deutlich mehr als bisher in die Infrastruktur investieren. Die geplante neue Pipeline durch die Ostsee sei zwar nicht die billigste Lösung, doch sie sei weniger krisenanfällig als Leitungen durch die Ukraine oder die Türkei.

Dem widersprach vehement Wiacheslaw Kniazhnystskyi, Energieberater des ukrainischen Botschafters in Brüssel. Der taz sagte er: „145 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr werden durch unsere Pipeline gepumpt. Die geplante nördliche Leitung kann im ersten Schritt nur 20 Milliarden Kubikmeter durchleiten. Europa kann ohne unsere Transitleitungen nicht überleben.“ Kniazhnystskyi verlangt, dass die Türkei und Ukraine in den Energiedialog EU–Russland einbezogen werden.

Heute Abend reist Kommissionspräsident Barroso nach Moskau. Auf der Tagesordnung sei das Thema Energie nur eines unter vielen, versichert sein Sprecher. Doch Barroso erklärte vergangene Woche, als die Kommission ihr Energie-Grünbuch vorstellte, bei dem Abendessen sei die Energiepartnerschaft zwischen Russland und Europa das Thema Nummer eins. Die Kommission will, dass Moskau die Gaspreise für die eigene Bevölkerung heraufsetzen, um so Anreiz zum sparsameren Verbrauch zu schaffen. Ferner bietet sie Unterstützung bei der Isolierung von Gebäuden und der Aufklärung der Bevölkerung an.

Konstantin Trofimow reagierte kühl auf den Vorschlag, die Gaspreise für die Russen anzuheben. „Unsere Gaspreise sind niedrig, weil bei uns die Gehälter niedrig sind. Wenn die Löhne steigen, werden wir auch die Gaspreise erhöhen.“ Es gebe Versorgungsprobleme. Der Winter sei so kalt gewesen, dass in weniger bedeutenden Industriezweigen die Energiezufuhr gekappt worden sei. Deshalb habe Präsident Putin kürzlich den Ausbau einer Technologie angekündigt, die Russland gut beherrsche: der Atomenergie. Nur 16 Prozent der Energie kämen derzeit aus dieser Quelle, in Europa seien es in einigen Ländern 30 Prozent. Doch auch die EU könnte einige Probleme dadurch lösen, dass sie wieder stärker in AKWs investie-re, riet Trofimow. Wie das Gespräch zwischen Putin und Barroso heute Abend verlaufen wird, kann man sich also ungefähr vorstellen.

DANIELA WEINGÄRTNER