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Archiv-Artikel

Der verhinderte Ratgeber

AUS PADERBORN NATALIE WIESMANN

So viel Aufmerksamkeit durch die Medien ist Uwe Kastens nicht gewöhnt. Jedenfalls nicht für sein politisches Engagement. Kopfschüttelnd sitzt der Paderborner Informatik-Professor vor den säuberlich zusammengetragenen Zeitungsartikeln über seinen Fall. „Woher wollen die eigentlich alle wissen, dass ich für die Abschaffung von Abschiebeknästen bin?“, sagt er und verzieht sein freundliches Gesicht zu einem zynischen Grinsen. „Es stimmt zwar. Sie haben mich aber nie gefragt.“

Sie, das sind unter anderem die Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU), die dem 59-Jährigen vergangene Woche im Landtag durch eine Anfrage der Grünen ein paar Minuten widmete. Kastens hatte sich im Herbst von der Grünenfraktion im Kreistag Paderborn als Kandidat für den Beirat der Abschiebehaftanstalt Büren aufstellen lassen. Doch der Anstaltsleiter strich ihn wieder von der Vorschlagsliste, weil der Computersprachen-Übersetzer seit Jahren dem Verein „Hilfe für Menschen in der Abschiebehaft“ angehört. „Ich war überrascht, ich habe davon selbst erst in der Zeitung gelesen“, sagt er.

„Das Ganze hat System“ stellt Kastens mit Nüchternheit in der Stimme fest. Zum Beispiel, dass die Justizministerin die Behauptung aufstelle, sein Verein habe sich zum Ziel gesetzt, die Abschiebehaft abzuschaffen. „Das steht nicht in unserer Satzung“, so Kastens. Auch Klaus Jäkel, Landesvorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbediensteten, hatte dem gebürtigen Bremer eine „falsche Gesinnung“ attestiert. Diese sei mit den Aufgaben des Beirats nicht vereinbar, hieß es.

„Egal wie meine Gesinnung ist: Es ist doch klar, dass ich mich nicht in den Beirat hätte wählen lassen, um die Abschaffung des Knasts zu fordern“, sagt Kastens und fügt aber sofort hinzu: „Auch wenn ich es nicht für verwerflich halte, die Existenz eines Abschiebegefängnisses in Frage zu stellen.“ Der grauhaarige Mann mit dem leicht vergeistigten Blick spricht leise und ruhig. Unterbrechen lässt er sich nicht, mit leiser Stimme bringt er das zu Ende, was er sagen will. „Abgelehnte Asylbewerber sind keine Verbrecher,“ sagt er. Es müssten schon schwerwiegende Gründe vorliegen, um jemandem die Freiheit zu rauben. „Es ist auch nicht verwerflich, Gesetze noch einmal zu überdenken.“

Das achtköpfige Gremium, in dem er nicht erwünscht ist, habe nicht die Aufgabe, die JVA-Leitung zu unterstützen, wie Kastens jetzt in einem der zahlreichen Artikel lesen musste. „Der Beirat soll sich um die Belange der Bediensteten und Insassen zu kümmern.“ Aber die Diskussion bringe nichts, so Kastens, während er seine randlose Brille abnimmt. Deshalb will er auch „kein Theater machen“.

Freunde waren es, die den Wissenschaftler zum Eintritt in den Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft in Büren“ animiert haben. Er ist aber nur zahlendes Mitglied. Denn für die Betreuung von Insassen hat er keine Zeit. „Da müssen Anwälte organisiert werden, der Kontakt zur Familie hergestellt werden, das ist alles nicht so einfach.“ Ganz so passiv ist Kastens aber nicht. Bei den Demonstrationen der Abschiebeknast-Kritiker läuft er seit ein paar Jahren regelmäßig mit. „Das habe ich meiner Tochter und meinem Sohn zu verdanken“, sagt Kastens und lacht: „Es ist schon ungewöhnlich, dass man von den eigenen Kindern auf seine erste Demo mitgeschleppt wird.“

Obwohl Kastens bisher keiner war, der auf die Straße ging: Seiner Meinung nach gibt es viele Dinge, die die Menschen in Aufruhr bringen müssten. Auch in seinem Fachbereich: „Wenn man Politik weit fasst“, sagt Kastens und breitet dabei seine Arme aus, „ist die Informatik ein sehr politisches Fach“. Es gehe eben nicht nur darum, welche Technik man entwickelt, sondern wozu sie genutzt würde. Die Einführung von RFID-Chips oder biometrische Daten in Pässen ruft für den Professor erstaunlich wenig Protest hervor. „Wenn ich da an den Boykott der Volkszählung in der achtziger Jahren denke“, sagt er schwärmerisch.

Doch seine Studierenden für den schleichenden Abbau des Datenschutzes zu sensibilisieren, sieht er nicht als seine Aufgabe an. „Ich thematisiere das nicht.“ Sein Schwerpunkt liegt trotz seiner Streichung von der Beiratsliste auf der Situation der inhaftierten Flüchtlinge in Büren und anderswo. „Mit den Abschiebungen werden Schicksale von ganzen Familien zerstört“, sagt er. Und, frage er sich immer wieder, was hätten denn die Bürger zu verlieren, wenn diese Menschen hier bleiben könnten?

Auch wenn er jetzt einen Maulkorb verpasst bekommen hat: Er will weiter verfolgen, was mit dem Abschiebeknast passiert. Die von der Landesregierung geplante Verlegung der in Neuss inhaftierten Frauen in die Männeranstalt Büren hätte er im Beirat gerne hinterfragt. „Das sind doch oft ganz andere Hintergründe, warum die Frauen hier Zuflucht suchen, viele sind nicht freiwillig hier.“ Doch bei der Aussicht auf Kosteneinsparungen spiele das wohl keine Rolle.

Wenn Kastens von unmenschlichen Vorgängen spricht, ist kein Vorwurf in seiner Stimme zu hören. Auch nicht wenn er berichtet, dass sein Verein „oft genug Kinder aus der Anstalt holen musste“, die laut Gesetz dort gar nicht inhaftiert sein dürfen. Ob er er sich bei der nächsten Beiratswahl wieder von den Grünen aufstellen lassen würde? „Klar, warum nicht“, sagt Kastens und nickt. Auch wenn das nach der „aparten Antwort der Justizministerin“ ziemlich unwahrscheinlich wäre. Bis dahin wird der Informatik-Prof wohl noch oft seinen Wissenschaftsstube verlassen, um mit oder ohne seine Kinder gegen Abschiebeknäste zu protestieren.