: Gericht straft Neonazis ab
Das Landgericht Potsdam verurteilt vier jugendliche Neonazis wegen gefährlicher Körperverletzung zu mehrjährigen Haftstrafen. Der Vorwurf des versuchten Mordes wurde jedoch fallen gelassen
von FELIX LEE
Das Potsdamer Landgericht hat gestern wegen eines brutalen Überfalls mehrjährige Jugendstrafen gegen vier von fünf Angeklagten aus der rechten Szene verhängt. Die Hauptangeklagte Sandra C. wurde wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung zu drei Jahren und drei Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Drei weitere Angeklagte erhielten zweijährige Haftstrafen, die unter Auflagen für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurden. Der fünfte Angeklagte wurde wegen unterlassener Hilfeleistung verwarnt.
Bei einigen habe er schon ein höheres Strafmaß erwartet, sagt Tamàs Bl. Insgesamt könne er mit dem Urteil aber leben. Sein Anwalt Stephan Martin fügt hinzu: „Den Opfern geht es in der Regel gar nicht um horrende Strafen, sondern dass sie vor Gericht überhaupt Gehör finden.“
Tamás Bl. ist eines der beiden Opfer, das in der Nacht zum 3. Juli 2005 in Potsdam von einer mindestens 13-köpfigen szenebekannten Neonazi-Gruppe auf der Straße überfallen und mit einer Flasche brutal zusammengeschlagen wurde. Er tritt als Nebenkläger gegen die Neonazis auf. Unter anderem gegen die 18-jährige Sandra C. Sie war die Erste, die mit einer Bierflasche auf Tamás Bl. einschlug. Daraufhin haben auch andere aus der Gruppe ihn und seinen Begleiter getreten und geschlagen. Tamás Bl. erlitt eine Gehirnerschütterung. Sein Begleiter trug schwere Schnittwunden im Gesicht davon, die mehrfach genäht werden mussten. Er ist bis heute traumatisiert.
Wegen des Übergriffs läuft parallel zu dem gestern abgeschlossenen Prozess seit Dezember ein weiteres Verfahren. Angeklagt sind sechs 22 bis 32 Jahre alte Neonazis. In der kommenden Woche sollen dort die Urteile gefällt werden.
Für die gestern verurteilten Neonazis ging der Prozess verhältnismäßig glimpflich aus. Alle vier fallen noch unter das Jugendstrafrecht; Sandra C.s Strafe fiel nur deswegen relativ hoch aus, weil sie bereits vorbestraft ist. Und: Zu Prozessbeginn im Januar waren sie noch wegen versuchten Mordes „aus niederen Beweggründen“ angeklagt gewesen. Damals hatte Staatsanwalt Peter Petersen erklärt, die Täter hätten den Tod der beiden Opfer billigend in Kauf genommen.
Die Richterin fand jedoch, dass die Tötungsabsicht – zumindest als kollektive Tat – nicht nachzuweisen sei. Erst der zweite Schlag mit der abgebrochenen Bierflasche ins Gesicht könne als Mordversuch gewertet werden. Der für diesen Angriff verantwortliche Täter wird aber unter den Angeklagten des zweiten Prozesses vermutet. Weil diese Tat auch erst geschah, als bereits zum allgemeinen Abmarsch geblasen wurde, könne dies nicht mehr als eine konstatierte Gemeinschaftsaktion bewertet werden.
Dennoch erkannte die Richterin das politische Motiv der Täter. Die rechtsextreme Gesinnung habe die Täter eindeutig dazu verleitet, so „brutal und rücksichtslos“ vorzugehen – daher bei den dreien das höchstmögliche Strafmaß, das überhaupt noch zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Zu den Auflagen gehören unter anderem Schmerzensgeldzahlungen, zwischen 80 und 200 Stunden gemeinnützige Arbeit sowie ein Besuch des Konzentrationslagers Sachsenhausen.
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