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Archiv-Artikel

Pingpong um Minuten

Arbeitgeber und Gewerkschaft streiten jetzt um eine Verlängerung der Arbeitszeit um sechs Minuten – pro Woche

VON HANNES KOCH

Der Streik im öffentlichen Dienst könnte bald zu Ende sein. Die Schlichtung in Baden-Württemberg war am Sonntagabend gescheitert, obwohl beide Seiten nur noch ganz knapp auseinander lagen. Nach Ver.di-Angaben lief der Vorschlag der Schlichter auf eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 39,11 Stunden hinaus. Dem Vernehmen nach will die Gewerkschaft aber unter 39 Stunden kommen.

Die Differenz beträgt also noch rund 6 Minuten Arbeitszeit – pro Woche. Das wären 1 Minute und 20 Sekunden pro Tag. Trotzdem habe die Verhandlungskommission von Ver.di dem Vorschlag der Schiedsrichter – Ex-Krankenkassen-Chef Roland Sing und Ex-Richter Claus Meissner – nicht zustimmen können, sagte Gewerkschaftsvertreter Alfred Wohlfahrt. Verglichen mit dem gegenwärtigen Zustand der wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden hätte dieser Kompromiss rechnerisch immer noch den Verlust von 3.500 Jobs im öffentlichen Dienst bedeutet. Der Stuttgarter Bürgermeister Klaus-Peter Murawski warf der Gewerkschaft daraufhin „Klientelpolitik“ vor.

Ausgegangen war der Konflikt freilich von den Arbeitgeberverbänden, die die Städte und Landesregierungen vertreten. Diese wollen die Arbeitszeit für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst auf 40 Stunden pro Woche erhöhen. So genannte Öffnungsklauseln sollen es ermöglichen, bis an diese Grenze heranzugehen. Das Argumente: Viele Länder und Kommunen haben massive Probleme mit ihren Haushalten und können sich die hohen Personalausgaben nicht mehr leisten. Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di besteht dagegen auf den zurzeit noch gängigen 38,5 Arbeitsstunden pro Woche.

Nachdem die Differenz zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerposition von 1,5 Stunden pro Woche unbezahlter Mehrarbeit auf wenige Minuten zusammengeschmolzen ist, geht es im Wesentlichen um das Design des Kompromisses. Für Ver.di spielt dabei eine Rolle, wie die Verlängerung der Arbeitszeit auf die unterschiedlichen Gruppen von Beschäftigten verteilt wird. Die bisherige Faustregel der Schlichter lautet: Schlechter bezahlte Gruppen bleiben in der Nähe der kürzeren Arbeitszeit, da die Verlängerung für sie eine empfindliche Verschlechterung in Form einer relativen Kürzung des Lohns darstellen würde. Besser ausgebildete und entlohnte Beschäftigte – etwa solche mit Hochschulausbildung – sollen auf etwas mehr verzichten. Der Einigungsvorschlag sah vor, dass angelernte Beschäftigte 38,5 Stunden in der Woche, Facharbeiter 39 Wochenstunden, Fachhochschulabsolventen 39,5 Wochenstunden und Mitarbeiter mit Hochschulausbildung 40 Stunden in der Woche arbeiten. Außerdem wird es wohl unbezahlte Weiterbildungstage geben, die es jeder Seite gestatten, das Ergebnis in ihrem Sinne zu verkaufen. Die Arbeitgeber können auf den Arbeits- und die Gewerkschafter auf den Bildungscharakter dieser besonderen Tage verweisen.

Darauf, dass der bislang längste Streik im deutschen öffentlichen Dienst bald zu Ende gehen könnte, deutet auch ein Wechsel der Gewerkschaftstaktik hin. Während bislang die Müllabfuhr oder die Kindergärten einzelner Städte konzentriert über längere Zeit lahm gelegt wurden, denkt Ver.di nun über „andere Formen“ nach. Berndt Keller, Professor für Arbeitspolitik an der Universität Konstanz, benutzt dafür den Begriff „Pingpong-Streik“. Die Kampfmaßnahmen würden auf mehr Städte und Beschäftigte verteilt als bisher. Dies ist aber auch ein Zeichen, dass Ver.di die Puste ausgeht. Weigert sich ein Müllmann, die Tonnen zu leeren, kann das schnell zu Einbußen beim Monatsverdienst von 300 Euro führen – trotz Streikgeld der Gewerkschaft. Daher ist auch der robusten Kern-Klientel von Ver.di ein unbefristeter Streik nicht unbedingt zuzumuten. Ver.di-Chef Frank Bsirske muss Rücksicht nehmen auf die Leidensbereitschaft der eigenen Leute.

Für Entspannung dürfte sorgen, dass nach den Landtagswahlen am kommenden Sonntag die SPD- und Unionsländern nicht mehr ihre jeweiligen Parteiinteressen in den Vordergrund stellen müssen. Die Konkurrenz der wahlkämpfenden Platzhirsche hat es bislang zumindest erschwert, dass die Länder Ver.di ein akzeptables, gemeinsames Angebot gemacht hätten.