: Grüne setzen auf Schwarz
SPITZENKANDIDAT Die K-Frage ist entschieden: Nach Widerstand aus den eigenen Reihen wirft Renate Künast das Handtuch. Auch Ratzmann verzichtet. Lachender Dritter ist Berlins selbst ernannter Obama: Özcan Mutlu
MANFRED GÜLLNER, FORSA
VON UWE RADA
Mit Renate Künast wollten die Berliner Grünen den Gipfel stürmen – und erstmals in einem Bundesland die Regierungschefin stellen. Doch bevor die Fraktionsvorsitzende im Bundestag die Berliner Wählerherzen erobern konnte, ist sie an der eigenen Partei gescheitert. Wie die taz am Mittwoch aus Parteikreisen erfuhr, hat Künast nach erbittertem Widerstand aus der Abgeordnetenhausfraktion am Mittwoch das Handtuch geworfen. Nun werden vor allem dem Bildungspolitiker Özcan Mutlu gute Chancen für die Spitzenkandidatur eingeräumt.
Künast wollte ihre Niederlage am Mittwoch nicht im Detail kommentieren. Sie sagte nur: „Auch eine Spitzenkandidatin braucht ein Team, das sie unterstützt. Sonst geht es ihr wie der glücklosen Hertha.“ Künasts Frust hat einen Adressaten: Volker Ratzmann (50), Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus. Nach Informationen der taz wollte Ratzmann selbst das Rennen machen. Dabei scheute er auch nicht davor zurück, seine alte Weggefährtin, die sich noch 2008 für seine Wahl als grüner Bundesvorsitzender stark gemacht hatte, aus dem Weg zu räumen. „Was nützt uns eine Spitzenkandidatin, die sich im Falle einer Niederlage zu schade ist für die Oppositionsarbeit“, ätzte Ratzmann am Wochenende bei einem Hintergrundgespräch.
Bei einem internen Fraktionsvotum am Mittwochmorgen stimmten nur 10 der 23 Abgeordneten für Künast. Allerdings fiel auch Ratzmann durch: Für ihn votierten lediglich 8 Parlamentarier.
Zwar zählen Künast und Ratzmann, die als Anwälte in den Achtzigerjahren beide im Kreuzberger Milieu zu Hause waren, inzwischen zum Realoflügel ihrer Partei. Sehr zum Ärger Ratzmanns wurde eine mögliche Kandidatur Künasts aber auch von den linken Grünen unterstützt. Deren Frontmann Christian Ströbele sagte unlängst Spiegel-Online: „Ein wichtiger Schritt wäre, wenn wir 2011 mit Renate Künast das Rote Rathaus gewinnen könnten.“
Auch der linke Abgeordnete Benedikt Lux machte parteiintern für Künast Werbung. Mit der populären Exverbraucherschutzministerin will der linke Grünenflügel in Berlin ein grün-rot-rotes Bündnis schmieden. Realo Ratzmann dagegen setzt ganz auf Grün-Schwarz – oder, wenn’s nicht anders geht, auf eine Jamaika-Koalition.
Was dem Ratzmann-Flügel die Arbeit erleichterte, war Künasts offensichtliche Unentschlossenheit. Trotz vieler Bauchpinseleien hüllte sich die 54-Jährige seit Wochen in Schweigen. Dabei bescheinigen ihr Meinungsforschungsinstitute wie Forsa durchaus Chancen, an Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) vorbeizuziehen. Bis zu 8 Prozentpunkte betrage der Künast-Bonus, rechnete unlängst Forsa-Chef Manfred Güllner vor. „Mit Künast können die Grünen 25 Prozent schaffen. Einen Ratzmann-Bonus gibt es dagegen nicht.“
Vielleicht aber einen Mutlu-Bonus. Das jedenfalls behauptet Özcan Mutlu, der nach dem Ausscheiden Künasts seinen Hut in den Ring geworfen und nach taz-Informationen durchaus Chancen hat. „Wenn die Berliner einen Türken zum Regierenden Bürgermeister wählen können, ist das wie Amerika, das einen Schwarzen zum Präsidenten machte.“ Entsprechend offensiv will der 42-Jährige seinen Wahlkampf gestalten. „Ich mach’s, Mutlu“ – so dürfte der Werbespruch auf seiner Homepage lauten. Der Bildungspolitiker hat sich zudem in den vergangenen Wochen durch mehrere kenntnisreiche und sehr detaillierte Kleine Anfragen an den Senat als Anwalt der MigrantInnen und SchülerInnen profiliert.
Was sagt der Wähler?
Mutlus Drang nach oben wollen die Demoskopen bisher nicht folgen. „Mutlu würde bei den Wählern eher negativ zu Buche schlagen“, meint Meinungsforscher Güllner. Er rät den Grünen nach Künasts Absage, gar keinen Spitzenkandidaten aufzustellen.
Bliebe als einziger nach der Wahl im Herbst 2011 womöglich der Amtsinhaber: Klaus Wowereit. Denn auch die CDU hat bislang vergeblich nach einem Frontmann für die Abgeordnetenhauswahl gesucht. Abgesagt haben nicht nur Umweltminister Norbert Röttgen und der Fraktionschef im Bundestag, Volker Kauder; auch der als Hoffnungsträger gehandelte Parteivize Thomas Heilmann will nicht. Und Parteichef Frank Henkel ziert sich wie bisher Künast – ob es ihm letztlich genauso ergeht?
Vielleicht steht hinter alldem auch Kalkül. Gerüchten zufolge schmieden Künast und Röttgen bereits das Bündnis für 2013 – eine schwarz-grüne Bundesregierung anstelle eines von Wowereit geführten Bündnisses von SPD, Linken und Grünen.