: Ein Beet in New York City
STADTGÄRTNERN Autos hupen, Sirenen kreischen – und mittendrin fassen Menschen in die Erde, ziehen Bohnen groß und fachsimpeln über Samen und Dung. Nachforschungen zur Magie des Community Gardening von New York
STADTGÄRTNERIN ROBIN MACE
AUS NEW YORK DOROTHEA HAHN
In diesem Jahr werden es dicke Bohnen. Im Herbst hat Marcia Lawther Tomaten geerntet. „Ausgezeichnete Tomaten“, sagt sie. Jetzt will sie etwas Neues ausprobieren. Sie sitzt verträumt auf einem Klappstühlchen in ihrem Beet und legt jeden Samen einzeln in die frisch umgegrabene Erde.
Ihren Lebensunterhalt verdient sie als Redakteurin bei einem trendigen Modemagazin. Aber an diesem ersten sonnigen Tag des Frühlings trägt sie eine verwaschene rote Schirmmütze. Unter ihren Fingernägeln sitzt schwarze Erde. Rund um sie pulsiert großstädtisches Leben. Autos hupen. Die Sirene eines Feuerwehrwagens hallt herüber. Aus einem Lastwagen tragen Arbeiter Lebensmittel in einen Supermarkt. Direkt dahinter steigt ein dreißig Stock hohes Haus in den Himmel. Die gegenüberliegende Straßenseite ist dicht mit backsteinroten Mietskasernen aus dem 19. Jahrhundert bebaut. Jeder Quadratmeter Boden an dieser Stelle von New York ist ein Vermögen wert. Marcia Lawthers Gemüsebeet liegt am LaGuardia Place in Manhattan.
Das Beet wäre zu klein, um einen Jeep darauf zu parken. Aber es ist groß genug, um Marcia Lawther glücklich zu machen. Sie nennt es „mein privates Stück Land“. Es erinnert sie an zu Hause. An Kalifornien, wo sie aufgewachsen ist.
Die Hexen verbrennen die Sorgen des Winters
Um das Beet zu bekommen, hat sie fünf Jahre auf einer Warteliste gestanden. Sie wohnt vier Häuserblocks entfernt in Greenwich Village. Von Frühling bis Winter geht sie jedes Wochenende zu ihrem Beet. Rundherum sind weitere 22 Beete angelegt, alle rechteckig, alle winzig. Ebenerdig verlegte Holzbalken markieren ihre Grenzen. Unter den Beeten liegt ein Meter Erdraum. Noch tiefer befinden sich die Fundamente eines alten Gebäudes im Boden. Rund um alle Beete zieht sich ein zweieinhalb Meter hoher Drahtzaun. Passanten können von allen vier Seiten das Gelände einblicken. Die Bewohner der Hochhäuser haben von oben Einblick. Marcia Lawther stört das nicht. Wenn sie im Garten ist, schaut sie weder nach rechts oder links noch nach oben. Ihr Blick geht nach unten. In die Erde.
Inmitten einer der am dichtesten besiedelten Städte der Welt existieren 600 Community Gardens. Sie sind eine Hinterlassenschaft der Siebzigerjahre, als New York haarscharf am Bankrott vorbeischiffte und als Hausbesitzer spurlos abtauchten. Ihre heruntergekommenen Mietshäuser ließen sie verfallen. Oder in Flammen aufgehen. In den Ruinen richteten sich Junkies ein.
Oft waren es Anwohner, die in Manhattan, der Bronx und in Brooklyn als Erste auf die Verwahrlosung ihrer Stadtteile reagierten. Gelegentlich griffen auch Hippies aus der Flower-Power-Bewegung zu Schaufel und Saatgut. Sie verwandelten die urbanen Ruinen in grüne Nutzfläche und gaben den Wohngegenden neues Leben. In den Jahrzehnten danach haben sich die Stadtteile verändert. In Greenwich Village ist die ursprüngliche Bevölkerung neuen Bewohnern gewichen, die jünger sind und mehr verdienen. Auch die Community Gardens haben zunehmend wohlhabende Mitglieder bekommen. In den LaGuardia Community Gardens erinnern nur noch ein paar Steine an die Namen der verstorbenen Gartengründer.
Vor dem niedrigen Werkzeugschuppen, dem einzigen Gebäude der Gartenanlage, sitzen vier Frauen um einen Metalleimer, in dem Stöckchen und Blätter brennen. Sie feiern den Frühlingsanfang mit einem Hexenritual. Werfen Zettel, auf die sie ihre Sorgen des vergangenen Winters geschrieben haben, ins Feuer. Wenn alles verbrannt ist, kann ein neuer Zyklus beginnen.
„New York ist eine anonyme Stadt“, erklärt Sara Jones, die Präsidentin des LaGuardia Community Gardens, die vor dem Feuer sitzt: „Die Leute reden nicht miteinander.“ In den Community-Gärten kommt man sich zwangsläufig näher. Wenn einer sein Beet umgräbt, hört der Nachbar seinen Atem und sieht die Schweißperlen rollen. Und wenn es eine Ratteninvasion oder eine von grauen Eichhörnchen gibt, müssen alle gemeinsam kämpfen. Die Teilnahme an Vollversammlungen, bei denen über gemeinsame Probleme und Projekte diskutiert wird, ist die einzige Verpflichtung für die Vereinsmitglieder. Abgesehen davon müssen sie bloß eine jährliche Gebühr für ihre Parzelle zahlen. Symbolische 20 Dollar.
„Für mich ist das Gärtnern nicht nur eine Verbindung zur Natur, sondern auch zur Kultur“, erklärt Brandon Krall. Seit 25 Jahren Jahren beackert die Grafikkünstlerin eine Parzelle im Liz Christy Community Garden in der Lower East Side von New York. Sie kommt fast täglich auf ihre Parzelle. An diesem ersten Frühlingssonntag rupft sie mit der Hand Unkraut aus dem Boden. Er ist noch feucht vom gerade erst geschmolzenen Schnee.
Der Liz Christy Community Garden ist ein historischer Ort. Im Jahr 1973 kamen hier die subversiven „Samenbomben“ von New York zum Einsatz. So eine Bombe zu basteln, ist einfach: Nötig sind Düngemittel, ein Stück Stoff, ein Trichter, Kitt, Blumensamen je nach Jahreszeit und ein mit Wasser gefüllter Luftballon. Letzteres, um das Innere der Bombe zu beschweren, damit sie sich über Mauern und Zäune auf Brachland werfen lässt. Jenseits der Mauern soll sie das Grün verbreiten.
In den frühen Jahren war Community Gardening ein politischer Akt. In den Achtziger- und Neunzigerjahren gab es wochenlange Gartenbesetzungen in New York. Manchmal standen sich Hobbygärtner und Polizisten, die in Begleitung von Bulldozern kamen, direkt gegenüber. Seither ist es ruhig um die Community-Gärten geworden. Aber zugleich gibt es weiter Community-Gärten, deren Existenz gefährdet ist, weil sich auch Bauherren für die Grundstücke interessieren und weil die Stadtverwaltung Geld braucht. Die Gruppe Green Guerilla ist darauf eingestellt, dass es eines Tages wieder zu Auseinandersetzungen um den Fortbestand einzelner Community-Gärten kommen könnte.
Waldmeister von der Upper West Side
Rund um den Liz Christy Garden türmen sich Gebäude aus Metall, Glas und roten Ziegelsteinen. Alle sind in den letzten fünf Jahren entstanden. Bloß den Liz Christy Garden hat der Bauboom verschont. „Wir haben kein Inch Land an die Bauherren verloren“, sagt Brandon Krall. Direkt neben ihrem Garten sucht ein Maklerbüro nach Mietern für einen der neuen Luxusbauten.
Die Parzelle dient Brandon Krall als Rückzugsbereich. Sie hat sie mit einheimischen nordamerikanischen Pflanzen besetzt. Ein Pfad führt in Schlangenlinie durch ihr Beet. Wenn sie sich neben ihre „Bluebells“, neben die „Carolina All Spice“ und neben die „Shooting Stars“ hockt und erzählt, wie die Blüten aussehen, die in wenigen Wochen aufgehen, scheint ihre Parzelle zu wachsen und scheint die Houston Street in die Ferne zu rücken. Es ist eine der wenigen Straßen Manhattans, die in beide Richtungen befahrbar ist.
Die einst subversiven grünen Oasen passen heute politisch gut in die Landschaft von New York. Die Stadtverwaltung hat einen großen Teil von ihnen in die Liste der städtischen Grünflächenverwaltung aufgenommen. Ein paar Dutzend weitere sind von privaten Stiftungen aufgekauft worden, um sie vor der Bebauung zu retten. Was die Zukunft ihrer Parzellen betrifft, bleiben manche Gärtner dennoch unsicher. „Diese Stadt gehört den Bauunternehmern“, sagt Robin Mace, „wenn sie ein Grundstück von der Stadt haben wollen, kriegen sie es über kurz oder lang.“
Die Druckerin hat eine Parzelle in einem Community Garden in der Upper West Side, zehn Schritte vom Central Park entfernt. Dort erntet sie Salat, Küchenkräuter und Waldmeister. Dort hat sie erlebt, wie sich der Wechsel in der Bevölkerung ihres Stadtteils angebahnt hat. Als sie in den Neunzigern ins Community Gardening an der 104th Street einstieg, waren noch Familien aus Lateinamerika dabei. „Der erfolgreiche Anwalt hatte seine Parzelle neben einer dominikanischen Putzfrau“, sagt sie.
Seither ist ihr Stadtteil den Weg der Gentrifizierung gegangen. Nachdem er noch in den Achtzigerjahren zu Harlem gezählt hatte, wird er inzwischen der Upper West Side zugerechnet. Oder Manhattan. Das klingt schicker. Heute gehört der Stadtteil zu den teuren Lagen in Manhattan. Jedes Mal wenn neue Mieter einziehen, schnellt der Preis um 20 Prozent in die Höhe.
Wenn die Druckerin Robin Mace über ihren Community-Garten spricht, erwähnt sie die Nachbarschaftsfeste, die ihre Gartengruppe im Sommer organisiert. Und die Glücksgefühle, die sie empfindet, wenn sie mit einem anderen Gärtner diskutieren kann. „Ich habe im Garten Freunde gefunden“, sagt Robin Mace.
Zugleich erfährt Robin Mace in dem Garten, was es heißt, auf Tuchfühlung mit den Nachbarn zu kommen: „Man kann über alles streiten“, sagt sie, „über Mückenlarven in einer Wasserpfütze. Über Unkraut, das auf das Nachbarbeet wuchert. Und über Katzen, die Ratten jagen.“
Ein Community Garden ist nicht nur ein Ort, wo der Blick nach unten geht zu den Bohnen und Tomaten. Zwischen den Beeten schießt auch Menschliches ins Kraut.