: Kiezfest mit Diskussionsbedarf
Im Reichenberger Kiez in Kreuzberg konzentrieren sich die sozialen Kämpfe der Stadt, am Samstag wird gemeinsam gefeiert, auch damit keine falschen Fronten entstehen
■ Samstag, 31. August
Von 15 bis 22 Uhr auf der Reichenberger Straße zwischen Ohlauer Straße und Lausitzer Straße, mit Musik, Redebeiträgen, Performances, einem Film und vielem mehr
■ Im Netz: www.reichenberger.nachbarschaftshaus.de
In kaum einem anderen Teil Berlins wird gegen Verdrängung, Mieterhöhung und Ausverkauf so laut und energisch gekämpft wie im Reichenberger Kiez am Görlitzer Park. AktivistInnen des Bündnisses „Zwangsräumungen verhindern“ blockierten im Februar den Eingang zu einer Wohnung, die geräumt werden sollte, Ende letzten Jahres besetzten Asylsuchende und linke AktivistInnen die Räume der leerstehenden Gerhart-Hauptmann-Schule in der Ohlauer Straße. Im Görlitzer Park wehrt man sich gegen Polizei-Razzien, es gab Angriffe auf ein Carloft und jede Menge Demonstrationen gegen Aufwertung und Verdrängung. Im Reichenberger Kiez zeigt sich der politische Charakter Kreuzbergs. Hier gibt es eine besonders hohe Dichte an politischen Gruppen und Initiativen, die ihr Umfeld aktiv mitgestalten wollen. „Die Kämpfe um Raum werden vor allem von Vermietern immer rücksichtloser geführt“, beklagt Jörg Nowak von Gekko, der Stadtteilarbeit des Nachbarschaftshaus Urbanstraße.
Die Initiativen aus dem Reichenberger Kiez laden gemeinsam mit Kneipen und engagierten AnwohnerInnen am kommenden Samstag in die Reichenberger Straße ein. Geplant sind 25 Stände, an denen sich Initiativen vorstellen und ein Kulturprogramm mit Musik. Unter anderem spielt die Band Bandista aus Istanbul und die Refugee Strike Band. Das Fest soll unkommerziell, sozial und solidarisch ablaufen. Ins Leben gerufen wurde es vor fünf Jahren, um gegen die Aufwertung des Kiezes zu protestieren. Auch in diesem Jahr werden Mietsteigerungen und die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen thematisiert, zum anderen solidarisieren sich die OrganisatorInnen mit den Flüchtlingen in der besetzten Schule.
Die Lage in der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule könnte derweil besser sein. Vorne im Hof stapelt sich der Müll, weil dieser scheinbar nicht regelmäßig abgeholt wird, drinnen in den Klassenzimmern liegen dicht an dicht Matratzen. Zu viele Personen müssten sich hier einen Raum teilen, beklagen die BewohnerInnen. Überhaupt hätten viel zu viele Menschen in dem Schulgebäude Zuflucht gefunden, weshalb es auch immer wieder zu Konflikten komme. Seit Dezember letzten Jahres harren die Flüchtlinge nun schon aus, warten, dass ihre Forderungen erfüllt werden. Sie verlangen, dass die Residenzpflicht und die Lagerunterbringung abgeschafft sowie die Abschiebungen von Asylsuchenden gestoppt werden. Bisher ist nichts passiert. Als sei die Situation nicht so schon schlimm genug, haben die BewohnerInnen des Hauses Stress mit den NachbarInnen, die sich über Krach, Lärm und Gewalt beschweren. „Die Leute sollten lieber auf die Asylpolitik schimpfen, die das alles hier erst verursacht hat“, sagt eine Bewohnerin.
Der Konflikt um die Schule ist aber nur einer der Brennpunkte im Kiez. Wie Jörg Nowak berichtet, mangele es durch Mietsteigerungen und Umwandlung von Mietwohnungen in Wohneigentum an bezahlbarem Wohnraum, was dazu führe, dass ärmere BewohnerInnen wegziehen müssten. Dann gebe es Streitigkeiten zwischen NachbarInnen, KneipenbesitzerInnen und denjenigen, die Nacht für Nacht nach Kreuzberg kämen, um dort das breite kulturelle Angebot zu genießen. Auch würden sich einige der AnwohnerInnen über die Drogendealer im Park beschweren. Sie hätten Angst, ihre Kinder im Park spielen zu lassen, sagt Nowak. Von der zum Teil hysterisch geführten Debatte über den Park hält er nichts. „Die Probleme sind vielfältig. Es müssen Lösungen gefunden werden, mit denen alle zufrieden sind“, erklärt Nowak.
Im Kiez gibt es verschiedene Ansätze, der Probleme Herr zu werden. So gibt es laute und mitunter auch militante Proteste oder Blockadeaktionen gegen Zwangsräumungen. Häufig wird gegen Verdrängung und hohe Mieten protestiert. Aber auch auf Gespräche wird gesetzt. So konnte das Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ durch Verhandlungen mit den Wohnungsbaugesellschaften anstehende Räumungen abwenden. Bezüglich der Situation im Görlitzer Park schlägt Nowak vor, eine Gesprächsrunde einzurichten, in der die AnwohnerInnen darüber aufgeklärt werden sollen, was die Beweggründe der Dealer sind und was für Drogen im Park verkauft werden. „Es bedarf mehr Moderation, damit sich keine falschen Fronten bilden“, sagt Nowak. Er selbst vermittelt zwischen KneipenbesitzerInnen und den AnwohnerInnen.
Auch die Asylsuchenden in der Schule bemühen sich, auf die NachbarInnen zuzugehen. Sie haben einen Infopunkt in der Schule eingerichtet, der tagsüber geöffnet ist, und laden die AnwohnerInnen zu ihren Plenen ein. Wie sie berichten, werden sie dabei von Initiativen aus dem Kiez unterstützt. Es geht darum, den NachbarInnen klarzumachen, dass sie gern in einer richtigen Wohnung leben möchten und einen normalen Job haben wollen, wie alle anderen auch. So hoffen die Asylsuchenden, die NachbarInnen für ihren Kampf zu gewinnen. „Wir werden hier bleiben, bis unsere Forderungen erfüllt sind“, sagen sie.
LUKAS DUBRO