Friedenspfeife Pipeline

SERIE Im weiten Farmland der Great Plains eint die Ablehnung des Bauprojekts sogar historische Kontrahenten: Rancher und Lakota bilden die „Cowboy and Indian Alliance“

■ Der Anlass: US-Präsident Barack Obama will in diesem Jahr entscheiden, ob die Keystone-XL-Pipeline gebaut werden darf.

■ Die Pipeline: Über 3.462 Kilometer soll Teersandöl aus Kanada in texanische Raffinerien transportiert werden.

■ Die Serie: Unsere US-Korrespondentin sucht die Geschichten entlang des geplanten Pipelineverlaufs. Zuletzt erschienen: „Im Fluss des braunen Öls am Yellowstone“ (26. 8.).

AUS LOWER BRULE UND WINNER, SOUTH DAKOTA DOROTHEA HAHN

„Jetzt spüren sie, wie es sich anfühlt“, sagt der hagere Mann mit den langen geflochtenen Zöpfen, „wenn man auf seinem eigenen Land nichts mehr zu sagen hat. Wenn man alles verliert.“ Er spricht heiser, sachlich, ohne Häme. Aus Erfahrung.

Wenn der Tischler aus dem Reservat Pine Ridge über „wir“ und „sie“ spricht, sind Bitterkeit und Misstrauen zu spüren, die sich in Generationen aufgestaut haben. „Wir“ sind die Lakota. „Sie“ sind alle anderen. Insbesondere die Weißen. „Wir sind hier für immer“, sagt er. „Sie haben eine andere Option.“ Seinen Namen will er nicht sagen. In Reservaten ist das Misstrauen gegenüber Journalisten besonders groß.

Pine Ridge war vor 123 Jahren der Schauplatz des letzten großen Blutbads bei der Eroberung des Mittleren Westens. Am Ende lagen 146 Lakota, vor allem Frauen und Kinder, und 31 US-Soldaten, vermutlich Opfer von Schüssen ihrer eigenen Kameraden, tot im Schnee von Wounded Knee. Die Narben jenes Massakers sind nie wirklich verheilt.

Pine Ridge liegt in einem der ärmsten Counties der USA. Die Lakota besitzen in ganz South Dakota nur noch neun kleine Reservate, isolierte Fleckchen Land, aus denen immer neue Stücke abgetrennt worden sind: für Landwirtschaft, für die Förderung von Gold, Kohle, Uran und für Staudämme im Missouri.

Eine Pipeline, die schweres Öl aus den kanadischen Teersanden in die Raffinerien in Texas bringen soll, ist die nächste Zumutung. Die Route der Keystone XL soll quer durch South Dakota verlaufen. Sie führt über Ländereien, auf denen Rinder gezüchtet und Mais angebaut wird. Die Landwirte sind Nachfahren jener Pioniere, denen die Regierung im 19. Jahrhundert das Land zugeteilt hat, von dem zuvor die Indianer vertrieben worden waren. Fast alle Lakota sind gegen die Pipeline. Auch einige Landwirte lehnen sie ab. Eine ungewöhnliche Allianz entsteht.

„Dies ist mein Land“, sagt John Harter über seine 280 Acres. Sein Großvater hat einen Teil davon nach der Großen Depression gekauft, einen anderen Teil brachte seine Frau mit in die Ehe, einen dritten Teil hat er selbst gekauft: „Ich zahle es ab. Und ich zahle die Steuern dafür. Aber dieses Unternehmen hat mehr Rechte über mein Land als ich selbst.“ Der 50 Jahre alte Rancher hat am Anfang mit den Vertretern von TransCanada über einen möglichen Korridor auf seinem Land gesprochen. Aber er hat zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen verlangt, dickere Rohrwände etwa. TransCanada lehnte ab. Als er gemerkt hat, dass das Unternehmen auf seinem Land ohne Rücksprache eine veränderte Route plant, womit die Pipeline noch näher an das Trinkwasser für seine schwarzen Black-Angus-Rinder und an das Wasserreservoir für mehrere Dörfer im County käme, änderte er seine Meinung.

Seine Ranch liegt in den nördlichen Ausläufern der Sand Hills. Der Boden ist sandig. Das Grundwasser liegt nur wenige Fuß unter der Grasnarbe. Manche Weiden sind sumpfig. Die Pipeline wird neben dem Öl aus den Teersanden zusätzliche Chemikalien enthalten, die das schwere Öl überhaupt erst transportabel machen. Im Falle eines Bruchs der Pipeline geriete der giftige Cocktail direkt ins Grundwasser.

Geld und Gier

John Harter fühlt sich von TransCanada betrogen. Von seiner Partei bekommt der „konservative Republikaner“ keine Hilfe – die Politiker haben sich auf die Seite des Pipelineunternehmens geschlagen. Auch von der Justiz seines Bundesstaates fühlt er sich im Stich gelassen. Die Gerichte erlauben TransCanada eine Enteignung. Das Gesetz macht das in den Fällen möglich, wo ein öffentliches Interesse vorliegt. „Diese Pipeline hat nichts mit dem öffentlichen Interesse der USA zu tun“, sagt John Harter. „Sie ist das private Interesse eines kanadischen Unternehmens.“ Was er seit dem Beginn des Pipeline-Streits erlebt, fasst er so zusammen: „Geld und Gier“.

Von dem Haus an der Schotterstraße, in dem John Harter und seine Frau leben, bis zum Horizont ist nur ein anderes, längst verlassenes Haus zu sehen. Der nächste Supermarkt ist zweieinhalb Autostunden entfernt. South Dakota, doppelt so groß wie Portugal, hat nur 800.000 Bewohner. Die Harters lieben die einsame, weite Landschaft der Great Plains. Die Machtlosigkeit im Pipeline-Streit ist die härteste Erfahrung in John Harters Leben, „schlimmer als der Tod meiner Mutter“.

Das einzig Positive sind die neuen Begegnungen. John Harter hat Leute getroffen, mit denen ein Rancher im Mittleren Westen selten am Tisch sitzt: linke Demokraten, Umweltschützer von der Ostküste und indianische Aktivisten aus den umliegenden Reservaten.

Bei einer Pipeline-Versammlung in South Dakota beschreibt ein Rancher seine eigene Lage: „Wir sind die Indianer der Moderne.“ Lakota-Aktivisten greifen den Satz auf. Erzählen davon, wie sie ihr Land verloren haben. Und dass sie bis heute die Hoffnung nicht aufgegeben haben, es eines Tages zurückzubekommen. Die Idee der „Cowboy and Indian Alliance“ ist geboren.

Die historischen Kontrahenten, die um dasselbe Land gekämpft haben, kommen entlang der geplanten Pipelineroute vorsichtig zusammen. Die „neue CIA“ hat Workshops organisiert, um gewaltfreie Techniken einzuüben. Falls die Regierung in Washington der Pipeline zustimmt und die Bauarbeiten beginnen sollten, könnte es auch im Mittleren Westen Blockaden geben. Im Herbst will die „neue CIA“ Demonstrationen auf dem „Trail of Tears“ organisieren. Die Pipeline kreuzt den Tränenweg, auf dem Ende des 19. Jahrhunderts die Ponca nach Oklahoma zwangsumgesiedelt worden sind. Mehrfach ist die „neue CIA“ auch zu einem Thema zusammengekommen, das außer ihr niemand in der Anti-Pipeline-Bewegung anspricht: Gewalt gegen Frauen. Die Aktivistin Faith Spotted Eagle will verhindern, dass in South Dakota beim Pipeline-Bau „Man Camps“ aufgestellt werden – mobile Massenunterkünfte für Arbeiter. Beim Ölabbau in den Teersanden von Alberta und beim Fracking in North Dakota steigt rund um „Man-Camps“ die Zahl der Vergewaltigungen. „Es ist eine besonders gefährdete und schutzlose Bevölkerung“, sagt Faith Spotted Eagle über die Bewohner der Reservate. „Drei von vier indianischen Frauen werden in ihrem Leben von weißen Männern sexuell angegriffen.“

Die Natur verteidigen

Die neue CIA aus den Great Plains steht noch am Anfang. Die ungleichen Bündnispartner kommen aus parallelen Universen. Und sie wissen, wie viele Verletzungen zwischen ihnen stehen. „Wir arbeiten zusammen, um etwas zu verhindern, das wir für falsch halten“, sagt Rancher John Harter. „Wir brauchen uns als Alliierte“, sagt die Lakota-Aktivistin Faith Spotted Eagle, „wir wollen beide das Land, das Wasser, die Natur verteidigen.“

An diesem Wochenende im August ist Faith Spotted Eagle zu Besuch in dem Reservat Lower Brule. Sie ist zu dem Pow Wow gekommen. Es gibt indianischen Gesang und Tänze, Rodeos, Pferderennen. Und Gespräche über die Pipeline. Auch im Spielkasino macht Faith Spotted Eagle kurz Halt und gambelt. Die Kasinos sind die Haupteinnahmequelle der Reservate. Die 64-Jährige ist wegen der Pipeline nonstop unterwegs. Spricht über Öl. Und über die heiligen indianischen Stätten, deren Macht gebrochen würde, wenn eine Pipeline quer durch sie verlegt werden würde. Als Kind hat Faith Spotted Eagle noch Lakota sprechen gelernt. „Die eigene Sprache gibt mir Kraft“, sagt sie. „Spiritualität kommt mit Worten.“ Aber mit den jüngeren Lakota muss sie Englisch reden. Sie tanzen noch. Und tragen zu den Pow Wows traditionelle Kostüme. Aber ihre Sprache haben sie verloren. Die Aktivistin hofft, dass die alten Strukturen zusammen mit den neuen Allianzen dennoch ausreichen, um die Pipeline zu verhindern. „Wir müssen das Heilige schützen“, sagt sie.